Wenn am Samstagabend in Dortmund die Angreifer der deutschen Nationalmannschaft vor dem gegnerischen Tor verzweifeln, dürfte das einen guten Grund haben: der Grund ist Igor Wladimirowitsch Akinfeev, Auswahltorwart der Russen. Dieser junge schmächtige Fußball-Profi mit
dem Milchgesicht gilt in der Torhüter-Szene als einer der kommenden internationalen Größen seiner Zunft. Schon jetzt ist Akinfeev eines der größten Talente des russischen Fußballs.
Akinfeev startete seine nationale Karriere in einem Alter, in dem sich andere noch die Pickel von der Haut kratzen müssen: Zarte 17 Jahre war der 1,85 Meter große Jüngling alt, als er sich in der Premier Liga
erstmals bewähren musste.
Nicht für irgendeinen Verein: dem Zentralen Sportclub der Armee Moskau, kurz ZSKA, war das Talent, das in den
eigenen Nachwuchsreihen gedieh, nicht unbemerkt geblieben – eigentlich noch für die Jugend spielberechtigt gab Akinfeev 2003 sein Profidebüt. Über 100 Spiele hat der im April 1986 im Moskauer Vorort Widnoje geborene Torhüter seitdem für seinen Verein bestritten. Innerhalb der Mannschaft, die 2005 als erste russische Mannschaft den Uefa-Pokal gewinnen konnte, ist der ruhige Schlussmann inzwischen eine Institution, ein Eigengewächs, das mit einer ähnlichen Zuneigung verwöhnt wird, wie einstmals der junge Raul beim spanischen Rekordmeister Real Madrid.
2004 debütierte der Moskauer für die Nationalmannschaft, seit Guus Hidink das Amt des obersten Fußballlehrers übernommen hat, gilt Akinfeevs Stammplatz als zementiert – und Hidink hat seine Gründe: auch
dank der Leistungen des Torhüters durfte Russland nach jahrelangen Darben in der internationalen Zweitklassigkeit an der EM in Österreich
und der Schweiz teilnehmen, die große Überraschung des Turniers scheiterte erst am späteren Sieger Spanien, hatte sich allerdings durch
ein famoses Offensivfest gegen die Niederlande bereits zuvor Anerkennung
und Respekt erspielt. Akinfeev stand in jedem EM-Spiel zwischen den Pfosten, leistete sich keinen Fehler und beeindruckte mit einer
konzentrierten Souveränität Zuschauer und Experten gleichermaßen verblüffte. Russische Blätter verkündeten stolz, die Welt habe den
wahren Nachfolger von Torwart-Legende Lew Jaschin gesehen. Ein kühner
Vergleich, wurde der 1990 nach einer Amputation verstorbene Jaschin
(wahlweise als „Schwarzer Panther“, „Schwarze Spinne“ oder „Schwarze
Krake“ bezeichnet) doch posthum zum Welttorhüter des Jahrhunderts
gewählt. Doch zweifelsohne: Mit Igor Akinfeev hat das stolze Russland
wieder einen Torhüter von internationalen Rang in den eigenen Reihen.
Der steile Aufstieg von ZSKA-Profi kommt nicht von ungefähr: das russische Sichtungssystem hat sich in den vergangenen Jahren enorm
verbessert. Die Klubs der Premier Liga gelten als Talentschmiede und
trainieren auf hohen Standards. Die beständigen Leistungen des
mittlerweile 22-Jährigen beweisen seine vorzügliche Ausbildung, Akinfeev
besitzt nahezu keinerlei Schwächen. Sicher im Luftkampf, irrsinnig
schnell in der Beinarbeit und mit einer exzellenten
Strafraumbeherrschung und Antizipation ausgestattet steht der
reflexstarke Russe sinnbildlich für den neuen Typus des modernen
Fußball-Torhüters.
Ein russischen René Adler, wenn man so will. Ein
wirkliches Torhüterproblem haben sie ja in Russland nie wirklich gehabt,
doch ein Mann von Akinfeevs Klasse hat lange auf sich warten lassen,
seit der große Jaschin seine Karriere 1971 beenden musste. Die
Nationalhelden zwischen den Pfosten fanden sich jahrelang auf dem Eis
wieder. Der Nationalsport Eishockey hat in steter Regelmäßigkeit
Top-Torhüter ausgespuckt. Jetzt zieht der Fußball nach.
Und Akinfeev ist nicht allein. Zwar sind seine Konkurrenten im
nationalen Tor - Viatcheslav Malafeev (Jahrgang 79) und Vladimir Gabulov
(Jahrgang 83) – bereits in einem reiferen Torhüteralter, die Jugend im
Tor drängt allerdings nach. Deutlich wird das aktuellen Ligavierten
Amkar Perm, mit lediglich 16 Gegentreffern in 24 Spielen die beste
Defensive der Liga. Dort hütet der 26-jährige Sergei Narubin den Kasten,
seine Konkurrenz allerdings ist blutjung: Maksim Shumaylov (Jg. 90) und
Stanislav Padenin (Jg. 91) sind die Ergebnisse ausgiebiger Förderarbeit
im Nachwuchsbereich.
Wie nun also Russland schlagen, wenn da dieser junge schmächtige Profi
mit dem Milchgesicht im Aluminimgehäuse steht? Ganz einfach: schnell und
überlegt abschließen, mustergültig vorgemacht von den Herren Villa und
Torres, Spanien. Im Halbfinale der Euro 08 hatten die müden Russen gegen
die Iberer keine Chance – und verloren deutlich. Viermal konnte Igor
Akinfeev überwunden werden. Klose, Gomez, Kuranyi und Podolski: Bitte nachmachen!