Nach der 3:0-Pleite in Manchester kommt Yann Sommer in die Kritik
Autor: T. Rübe - 13.04.2023
Nach der 0:3 Auswärtsniederlage in Manchester im Hinspiel des Champions League Viertelfinale gab es nun auch erste wirklich harte Kritik an Yann Sommer. So äußerte sich Sky-Experte Dietmar Hamann nach dem Spiel in Manchester: „Für mich war der Torwart heute heillos überfordert. Der Torwart hat heute maßgeblich und nicht nur heute, auch in den letzten Wochen – die Mannschaft verunsichert. Du hast einen Torwart drin, der nach 20 Minuten sich fast schon wieder den Ball selber rein schießt. Da fängst du das Zittern an. Du denkst: „Können wir den noch anspielen?“ Hiermit sprach Hamann an, dass Sommer den Ball schon gegen Paris im eigenen Strafraum vertändelt, als er ins Dribbling ging. Weiter wetterte Hamann: „Ich hätte gedacht, als er kam, er packt das. Ich muss mich heute revidieren. Er hat es nicht geschafft. Ich glaube nicht, dass er eine Option ist, nächstes Jahr bei den Bayern im Tor zu stehen.“
Hamann ist mittlerweile für markige Worte bekannt, muss sich aber auch schon seit einiger Zeit mit Kritik an seinen Äußerungen auseinandersetzen. Vor allem bezüglich der Torhüter wirkte Hamann mitunter etwas pauschalisierend plakativ. Wirklich ins Detail ging er auch bei seinem Statement zu Sommer nicht. Der ehemalige Nationaltorhüter Timo Hildebrandt meldete sich nunmehr auch auf Twitter zu Wort und stellte sich demonstrativ vor Sommer: „Wow. Jetzt ist ein Torwart schon schuld, wenn ein Abwehrspieler den Ball verliert – wieso lasst ihr bei Sky jemanden über einen Torwart sprechen, der keine Ahnung davon hat.“
Hildebrandt widerspricht Hamann, beide haben vertretbare Punkte
In der Tat hat Hildebrandt durchaus mit seinen Worten recht. Denn an einem Ballverlust eines Mitspielers ist Sommer natürlich schuldlos. Auch die Kritik an den fußballerischen Fähigkeiten des Schweizer Nationaltorhüters ist definitiv nur bedingt richtig. Zwar offenbarte Sommer in den vergangenen Spielen immer wieder kleinere Defizite im spielerischen Bereich, aber wirklich spielentscheidend war dies selten. Vielmehr lässt sich vermehrt beobachten, dass auch die torwartspezifischen Techniken nicht zu Prozent sitzen und daher auch Tore hingenommen werden müssen, die man einem Yann Sommer so nicht zugetraut hat. Vor allem in den großen Spielen bei Borussia Mönchengladbach und auch in der Nati wusste Sommer in der Regel auf der Linie mehr als zu überzeugen. Auch fußballerisch stand Sommer bisher nicht wirklich in der Kritik, sondern galt als sehr kompletter Torwart und ist auch nicht grundlos zu den Bayern gewechselt, auch Manchester United hatte sich dem Vernehmen nach deutlich mit dem 32-Jährigen auseinandergesetzt.
Auch wirkte Sommer in den Spielen zuvor sicher in der Spieleröffnung und war auch in dem Punkt, den Hamann sehr fokussiert herausstellt, nicht der Unsicherheitsfaktor, als jenen Hamann ihn benennt. Natürlich ist ein ballsicherer Torhüter eine Sicherheit für die Verteidigung, wenn sie stark von der gegnerischen Offensive gepresst wird, doch darf nicht vergessen werden, dass auch Manuel Neuer in dieser Saison Gegentore verschuldet hatte, die aus Ballverlusten resultierten. Direkt am ersten Spieltag beim Auswärtserfolg bei Eintracht Frankfurt verlor der Münchner Kapitän den Ball gegen Kolo Muani, der problemlos einschieben konnte. Auch bei der WM präsentierte sich der zuvor verletzte Neuer nicht in Topform.
Dennoch muss festgehalten werden, dass Yann Sommer bisher noch nicht recht in München angekommen ist. Fatalerweise wird dies nun vor allem in der wichtigsten Phase der Saison richtig deutlich. Vermehrt zeigt sich nun eben doch, dass eine Gewöhnung recht intensiv erfolgen muss. Damit straft Sommer unfreiwillig den ehemaligen Bayern-Coach, Julian Nagelsmann, Lügen. Dieser sagte, dass sich ein neuer Torwart nur 15 Minuten bei den Bayern im Spiel einfinden muss. Eine längere Umstellung könne demzufolge gar nicht erfolgen.
Die Summe von kleineren Fehlern erschwert es Sommer bei den Bayern
Doch wird nunmehr immer mehr deutlich, dass sich Yann Sommer doch deutlich schwerer tut, als bisher zu vermuten war. Das ist aber – wenn überhaupt – nur bedingt an den Fehlern im Spielaufbau gegen Paris und gegen Manchester auszumachen. Vielmehr wird offensichtlich, dass Mannschaft und neuer Torhüter noch nicht zusammenpassen. Der FC Bayern wurde über die Jahre mit dem Pressing Verhalten auf Manuel Neuer abgestimmt, bzw. haben sich Torwart und Mannschaft aufeinander abgestimmt. Nun aber spielt ein Torwart, der über einen anderen Spielstil verfolgt und damit tut er sich auch schwerer, sich vollends anzupassen. Auch mit Sven Ulreich im Tor war der FC Bayern München ein anderes Team. Manuel Neuer war und ist in seinem Stil derart prägend, dass das taktische Verhalten auf seine Spielweise ausgelegt wurde, wenn vielleicht auch unbewusst. Jetzt aber müsste aber ein ganzes Team zumindest vorübergehend auf einen neuen Torwart eingestellt werden oder aber der Torwart muss sich an die neue Mannschaft anpassen und exakt jener Vorgang ist gerade bei Yann Sommer live zu beobachten. Sommer muss seine bisherigen Bewegungsabläufe und Verhaltensmuster ein wenig umstellen. Schon ein halber Meter weiter vorn und weiter hinten aber lässt die Automatismen verwässern und es kommt im Detail zu kleinen Fehlern.
Auf allerhöchstem Niveau – und das ist auch das Selbstverständnis der Bayern – aber zählt jedes Detail und es wird deutlich, dass Sommer größere Probleme hat, als man zunächst dachte. Damit ist noch nicht noch einmal das eigentliche Leistungsvermögen des Schweizers gemeint. Doch fällt auf, dass er im Detail bei weitem nicht so sauber agiert wie bei der Gladbacher Borussia. Es mutet beinahe schon an, dass Sommer über jeden einzelnen Schritt nachdenken muss und das ist das fatale dabei. Er kommt ins Überlegen, obwohl die Zeit zum Denken im Wettkampf nicht existiert und seine Automatismen greifen nicht mehr, weil Yann Sommer als zweiter Manuel Neuer auftreten möchte und soll, dies aber natürlich nicht kann. Daher passieren Gegentore, die Sommer zum Teil bei der Borussia nicht hätte hinnehmen müssen. Gleichsam aber ist auch die mentale Belastung eine andere, das Selbstverständnis, das bei den Bayern herrscht, kannte Sommer so nicht.
In der Schweizer Nationalmannschaft und auch in Gladbach ging er mit seinem Team nie als der absolute Favorit auf den Platz. Eine Niederlage war unter Umständen auch zu verkraften. An der Säbener Straße aber zählen nur Siege und Trophäen, der Druck ist ungleich höher. All dies sind Faktoren, die bei der Bewertung von Yann Sommer bei den Bayern zu berücksichtigen, wenngleich bisher deutlich wird, dass Yann Sommer nicht die Leistungen abgerufen hat, die man sich von ihm versprochen hat. Der Transfer hat sich bisher nicht als wirkliche Verstärkung erwiesen, was sich aber aus dem Zusammenspiel der oben genannten Faktoren ergibt. Es wäre für alle Beteiligten die bessere Situation gewesen, wenn Sommer zumindest eine ganze Vorbereitung mit den Bayern gehabt hätte, doch diese Zeit hatte er nicht. So agiert er bisher auf einem Level, was wohl auch von Sven Ulreich zu erwarten gewesen wäre. Doch das liegt nur bedingt an Sommer selbst.
Eine richtige Konkurrenzsituation zwischen Sommer und Neuer ist noch nicht zu sehen
Viel mehr aber stellt sich nun die Frage, ob es nicht sogar erwartbar war. Auch wenn Yann Sommer den Bayern als Gegner ja sehr wohlbekannt war, muss ein intensives Scouting betrieben worden sein und auch Sportvorstand Hasan Salihamidzic ist für den Transfer verantwortlich. Hätten die Verantwortlichen nicht sehen können oder sogar müssen, dass ein Yann Sommer ein ganz anderer Typ als Manuel Neuer ist? Und daher eine Gewöhnung Zeit und Geduld erfordert, die die Bayern aber eigentlich auch aufgrund der Saisonphase gar nicht hatten? Nach der öffentlichen Darstellung sollte Sommer der Mann sein, der mit Manuel Neuer nach dessen Rückkehr um die Nummer 1 ernsthaft konkurrieren soll. Bisher aber – und in diesem Punkt hat Dietmar Hamann sicher nicht Unrecht - benötigt man ein wenig Fantasie, um sich eine wirkliche Konkurrenzsituation zwischen Sommer und Neuer vorstellen zu können. Aber all dies hätte eigentlich auch bekannt sein müssen und es wurde zumindest ignoriert. Doch wirft die Leistung Sommers auch auf Vorstandsboss Oliver Kahn kein allzu gutes Licht. Als ehemaliger Welttorhüter hätte er das doch sehen und gegebenenfalls auch intervenieren müssen. Offensichtlich aber ging dem ehemaligen Weltklasse-Keeper hierbei die richtige Beurteilung ab, was ihm bei dieser Personalie aber nicht passieren darf. Wenn Kahn dies nicht einschätzen kann, wer sollte es dann können?
Zwar gehört zur Wahrheit, dass auch der damalige Trainer Julian Nagelsmann diesen Transfer so wollte und sich sicher auch für Sommer starkgemacht hat, doch haben seine Vorgesetzten diese Entscheidung auch so mitgetragen, ohne zu intervenieren. Selten entscheidet nur eine Person über einen Transfer, bei einem wichtigen Transfer ohnehin nicht. Doch gab es zumindest nach außen keinen Zweifel, dass Yann Sommer der Richtige für die temporäre Nachfolge Manuel Neuers ist. Unter diesem Gesichtspunkt bekommt aber auch die Entlassung von Toni Tapalovic noch einmal einen anderen Drive. So wäre es sogar denkbar, dass sich Tapalovic gegen die Verpflichtung von Yann Sommer und für das Vertrauen gegenüber Sven Ulreich ausgesprochen hat, was am Ende aber dazu geführt hat, dass Nagelsmann seinen Wunsch erfüllt sehen wollte und der Torwarttrainer gehen musste.
Dabei gab es eine ähnliche Situation schon einmal bei den Bayern, und zwar ab der Saison 2007/2008, als der große Oliver Kahn als Profi aufhörte und Michael Rensing als designierter Nachfolger das Erbe antreten sollte. Rensing schaffte es nicht und auch Hans-Jörg Butt und Thomas Kraft waren nur Übergangslösungen. Erst mit Manuel Neuer konnte etwas neues richtig aufgebaut werden. Wenn die Mannschaft mit einem Torwart über einen langen Zeitraum gewachsen ist, hat es dann ein neuer Torwart schwer, wenn die Automatismen in der Mannschaft noch dieselben sind. Spätestens Oliver Kahn aber muss dies sehen und das auch bei einem Transfer in Erwägung ziehen. Getan hat er es aber augenscheinlich nicht.
Demzufolge war es vielleicht sogar mit Ansage, dass Sommer und die Bayern zumindest auf Anhieb keine wirkliche Erfolgsgeschichte ist. Im Grunde genommen lastet der gesamte Druck nun aber auf Yann Sommer. Er hat lediglich das Rückspiel gegen Manchester City, um zu beweisen, dass er auf absolut höchstem Niveau performen kann. Gleichzeitig reicht auch ein knapper Sieg nicht zum Weiterkommen. Ein Ausscheiden wäre aber unter Umständen sogar mehr mit Sommer als mit dem neuen Trainer Thomas Tuchel verknüpft. Daher ist der Druck noch einmal höher, während sich Salihamidzic und Kahn bezüglich ihres Torwarts bisher wegducken. Gerade jetzt müssten sie ihn eigentlich aus der Schusslinie nehmen und selbst Verantwortung übernehmen. Das ist aber bisher nicht geschehen. Gleichzeitig haben sie aber Nagelsmann entlassen, weil sie ihre Ziele, nämlich das Triple in Gefahr sahen. Durch das Pokal-Aus ist dieses Ziel schon gar nicht mehr erreichbar, in der Champions League droht ebenso das Aus und auch die Meisterschaft ist noch nicht gewonnen.
Wenn Neuer wieder die Nummer 1 wird, könnte Tapalovic zurückkehren
Bisher hat die Führungsebene zwar immer schnell und auch ziemlich stark reagiert, doch gerät allmählich eben die Führung nach den ganzen Personalrochaden unter Druck. Es droht aber aufgrund des Abduckens von Salihamidzic und Kahn Yann Sommer aber gewissermaßen zum Bauernopfer zu werden, was einem Torwart, der über Jahre hinweg bei einem etwas kleineren Klub, aber auch international, seine Klasse bewiesen hat, nicht gerecht wird. Die großen Gewinner sind indes Manuel Neuer und der ebenfalls entlassene Toni Tapalovic. Sollte Sommer scheitern und Manuel Neuer zur neuen Saison als Nummer 1 zurückkehren, könnte sogar auch Tapalovic wieder zurückkommen, denn Nagelsmann als Gegner des Neuer-Vertrauten ist Geschichte und Thomas Tuchel sagte bei seiner Antritts-PK, dass noch nicht geklärt sei, ob Michael Rechner auch langfristig Torwarttrainer bei den Bayern bleibt.
Derzeit ist Rechner ohnehin eher Torwarttrainer beim legendären „FC Hollywood“, der skandalbehafteten Version des FC Bayern, die eigentlich in den 90er Jahren ihre Hochzeit hatte, aber nunmehr seit Anfang Dezember wieder zurückgekehrt ist, just zu der Zeit, als sich Manuel Neuer verletzt hat. Vielleicht sogar ist Manuel Neuer nicht nur Kapitän und Stammtorhüter, sondern einer der wichtigsten Personen im Verein, die auf sportlicher Ebene und auch in der Kabine den „Laden“ zusammenhalten. Wenn dies aber tatsächlich so ist, war das Scheitern des Yann Sommer – und genau danach sieht es leider momentan aus – ein Vorgang mit Ansage, den die Verantwortlichen um Salihamidzic und Kahn hätten verhindern müssen. Die notwendige Expertise muss zumindest Kahn als ehemaliger Weltklasse-Torhüter einfach mitbringen.
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