torwart.de: Torwart und Torwarttrainer bilden ein sensibles Gebilde. Warum?
Leitert: Als Torwarttrainer hast du im Teamsport Fußball die einmalige Chance, ganz individuell mit dem Spieler zu arbeiten. Der Torwarttrainer hat die Möglichkeit, sich mit dem Leistungsprofil seiner Torhüter ganz intensiv auseinander zu setzen – viel mehr als es dem Cheftrainer jemals möglich ist. Durch die nahe Zusammenarbeit entsteht zwangläufig eine sehr intensive Kommunikation, die wiederum zu einem sehr engen Gebilde zwischen Trainer und Spieler führen kann. Wenn sich beide gegenseitig respektieren, dabei sowohl Nähe als auch notwendige Objektivität zulassen, kann man von einem optimalen Teamwork sprechen. Wenn man bedenkt, wie lange Oliver Kahn schon mit Sepp Maier zusammenarbeitet, so zeigt dies deutlich, dass hier ein eigenes Team innerhalb des Teams Bayern München arbeitet.
torwart.de: Was kommt bei dir nach Panathinaikos?
Leitert: Das steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest. Ich habe viele Kontakte außerhalb von Österreich geknüpft und denke, dass sich in den nächsten Wochen und Monaten sehr konkrete Gespräche ergeben werden. Wir wissen ja alle, dass es im Fußball sehr schnell gehen kann, und ein einziger Telefonanruf plötzlich das gesamte Leben verändern kann.
torwart.de: Ist der Beruf des Torwarttrainers im Profibereich ein Traumjob?
Leitert: Für mich eindeutig ja. Natürlich muss man sich der Vor- und Nachteile bewusst sein. Man kann einerseits mit Spielern im höchsten Leistungsbereich arbeiten und ist dennoch nicht demselben Druck wie etwa der Headcoach ausgeliefert. Dennoch ist es so, dass man in vielen Situationen einfach nur Passagier ist – kommt es etwa zu einem Trainerwechsel und der neue Headcoach besteht auf sein eigenes Betreuerteam, kann es sein, dass du deinen Job verlierst, ohne auch nur einen Fehler begangen zu haben. Diese Situationen sind hart, müssen aber in diesem Job anstandslos akzeptiert werden. Um dennoch langfristig bestehen zu können, musst du einfach deinen Weg gehen, deine persönliche Linie weiterverfolgen. Oder wie es Jorge Valdano in seinem Buch ‘Über Fußball’ treffend beschreibt: “Du darfst dich als Trainer selbst nicht verraten.” Nur dann, wenn du tatsächlich authent bist, bist du glaubwürdig und nur dann macht die Arbeit mit Spielern Sinn.
torwart.de: Du hast auch schon beim VfB gearbeitet mit Hildebrand. Um was ging es da?
Leitert: Das war im Jahr 1998, als ich eine groß angelegte Untersuchungsreihe betreffend ‘Torhüter-Leistungsprofil’ durchführte. Ich testete zu diesem Zeitpunkt rund 60 Profi- und Topnachwuchstorhüter in Österreich, Deutschland und den Niederlanden. Aufgrund meiner persönlichen Kontakte zu Franz Wohlfahrt, der zu diesem Zeitpunkt beim VfB das Tor hütete, führte mich mein Weg eben auch nach Stuttgart. Timo Hildebrand war damals 19 Jahre alt und war gerade am Sprung in den Profikader. Wir untersuchten damals die Torhüter Wohlfahrt, Hildebrand und einige Nachwuchskeeper, darunter auch Markus Miller (damals U16). Stuttgarts Nr. 2 Marc Ziegler konnte aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht an den Untersuchungen teilnehmen. Es ging dabei einerseits um torwartspezifische sportmotorische Tests, andererseits um eine videogestützte Technikanalyse der wichtigsten und häufigsten Bewegungsabläufe im Bereich der Zielverteidigung. Timo Hildebrand war damals sehr aufgeschlossen und wissbegierig. Wir hatten über einen längeren Zeitraum hinweg Kontakt und ich versuchte stets, offene Fragen nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. Aber es wäre Scharlatanerie zu behaupten, dass diese Informationen für seine Leistungsentwicklung entscheidend war.
torwart.de: Gibt es für dich Länder, in denen die Torhüter nach einheitlichen Schemata ausgebildet werden und man diese Gemeinsamkeiten an deren Torwartspiel erkennen kann?
Leitert: Nun, global betrachtet möchte ich das so nicht behaupten. Dies würde nämlich voraussetzen, dass eine Ausbildung landesweit bewusst nach bestimmten Kriterien ausgerichtet ist. Und dies ist sicherlich kaum der Fall. Vielmehr ist es so, dass manche Klubs - wie etwa das klassische und bekannte Beispiel Ajax Amsterdam und dessen ehemaliger Torwarttrainer Frans Hoek - durch den Verkauf von Lehrmittel ihre eigene Ausbildungslinie ins Ausland transportieren und diese dann von den Käufern selbst als ‘landesübliche’ Ausbildung angesehen wird. Die Ajax Schule wird schnell zur ‘holländischen’ Schule und schon sind wir geneigt, allen Klubs das gleiche Ausbildungs-Schemata zuzuschreiben. Kommt dann auch noch ein Ajax-Keeper ins holländische Nationalteam (Edwin van der Sar) wird das ganze automatisch verstärkt. Wissen wir aber wirklich, ob die Torhüter beim AZ Alkmaar oder bei Feyenoord Rotterdam ebenso ausgebildet werden wie jene bei Ajax? Verfolgen sie wirklich bewusst die gleiche Ausbildungslinie? Ich denke eher an eine Art ‘natürliche Selektion’. Ähnlich dem Evolutionsvorgang in der Natur ist es doch vielmehr so, dass sich je nach Land, Region und Kulturkreis – also je nach Stil des Fußballs, der in einer bestimmten Region oder einem bestimmten Kontinent gespielt wird - typische ‘Torwartstilrichtungen’ entwickelt haben. In England entstand aufgrund des temporeichen und körperbetonten Fußballs der klassische ‘Shot-Stopper’, in den Niederlanden der perfekte Techniker, der den Ball sowohl mit dem linken, als auch mit dem rechten Bein optimal ins Spiel bringen kann. In Südamerika entstand der fliegende, akrobatische und teils theatralische Torhüter (man denke an Higuita und dessen Skorpion im Spiel gegen England; Chilavert, der pro Saison mehr Tore erzielte als sämtliche durchschnittlicher europäischer Verteidiger, Jorge Campos aus Mexiko, etc.). In Österreich wurde der Position des Torhüters seit jeher enorme Wichtigkeit beigemessen, da Österreich im internationalen Vergleich vor allem defensiv sehr stark besetzt sein musste, um bestehen zu können. In Spanien wiederum gibt es noch jetzt Klubs aus der Primera Division, wo der Team-Arzt gleichzeitig das Torwarttraining durchführt. Das bedeutet, dass in Spanien beispielsweise der Torwart keinen so hohen Stellenwert einnimmt, wie in anderen Ländern. Nicht weil es niemanden interessiert, sondern weil der Fußballstil in Spanien offensiv-kreativ orientiert ist. Dies bedeutet, dass der Torwart und dessen Ausbildung dort nicht als Priorität anzusehen ist. Aber ich bin überzeugt, dass dies oftmals kein bewusster Prozess ist, sondern eine Folgeerscheinung der natürlichen Fußball-Entwicklung im Laufe der Zeit. Nur wenige Länder bzw. Klubs arbeiten bewusst an einer klar definierten Torwartentwicklung. Wurden etwa Dino Zoff, Sepp Maier, Toni Schumacher, Peter Schmeichel oder Lew Jaschin einem bewussten Entwicklungsprozess unterzogen oder war es nicht eher so, dass ihre individuellen Stärken, gepaart mit ihrer spezifischen Persönlichkeit sich genau in den Ländern durchsetzten, in denen sie aufwuchsen? Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie ausnahmslos alle die selben Erfolgsprinzipien verfolgten, welche unabhängig des Spielstils zu betrachten sind. Und hier schließt sich der Kreis zum Buch wieder.
torwart.de: Gibt es für dich eine deutsche Torwartschule bzw. die deutsche Torwarttradition?
Leitert: Ich denke, dass das Thema ‘Torwartschule’ bereits ausreichend beantwortet ist. Jedoch kann man klar herausstreichen, dass Deutschland seit jeher immer großen Wert auf einen starken Torwart gelegt hat. Egal ob Toni Turek, Hans Tilkowski, Bert Trautman, Sepp Maier, Toni Schumacher, Oliver Kahn und Jens Lehmann. Jeder dieser Torhüter zeichnet oder zeichnete sich durch eine ausgesprochen starke Persönlichkeit sowie durch ein sehr kompaktes torwartspezifisches Leistungsprofil aus. Somit kann man eindeutig von einer großen Torhütertradition sprechen, die mit Sicherheit auch in Zukunft weiter fortgesetzt wird.
torwart.de: Hans, wir bedanken uns für das ausführliche Gespräch und sind gespannt auf Deine zukünftigen Beiträge im Torwartbereich
Leitert: Ich bedanke mich auch für das Gespräch!
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