Hans Leitert gilt als einer der renommiertesten Torwarttrainer in Europa. Er arbeitete
u.a. schon in England, Spanien und Griechenland. Bis vor kurzem war er Torwarttrainer
beim englischen Premier League Club Tottenham Hotspur. Bekannt wurde er auch durch
sein Buch "Die Kunst des Torwartspiels oder die sieben Prinzipien der Meister",
das 2007 auf den Markt kam und große Akzeptanz und Anerkennung fand. (Das Buch
ist hier
im torwart.de Shop erhältlich) torwart.de sprach mit dem Österreicher über seine
Arbeit und Erfahrungen in England.
torwart.de: Welche Bedeutung hatte für Dich das Engagement bei einem Traditionsklub wie Tottenham?
Leitert: Vor allem bedeutete es für mich, dass ich den englischen Fußball sehr intensiv kennen gelernt habe und miterlebt habe, wie er tatsächlich funktioniert. Vor allem war interessant zu beobachten wie vereinsinterne Mechanismen ablaufen bzw. welch großen Einfluss die englischen Medien auf Vereine und Verantwortliche (wie Trainer, Sportdirektoren, Klubbesitzer, etc.) ausüben. Das heißt, es ist sehr interessant zu sehen, wie das Bild der englischen Premier League nach außen hin dargestellt wird und was wirklich intern abläuft.
torwart.de: Welche Neuerungen und Innovationen konntest Du bei Tottenham einführen?
Leitert: Wir sind im Bereich der torwartspezifischen Spielanalyse neue Wege gegangen
und wir haben vor allem im Bereich der Talentselektion versucht, speziell
den Bereich der Persönlichkeit viel mehr zu berücksichtigen. Letztendlich
war jedoch die Zeit, die uns gegeben wurde, nicht ausreichend um
weitreichende Innovationen einzuführen.
torwart.de: Wie war die Zusammenarbeit mit Gomez geprägt?
Leitert: Die Zusammenarbeit mit Heurelho Gomes, Cesar Sanchez sowie mit dem
schwedischen Nachwuchstalent Oscar Jansson war außergewöhnlich gut. Wir
hatten alle eine hervorragende Beziehung zueinander, die geprägt war von
hohem gegenseitigen Ansehen, sowie Respekt und tiefem Vertrauen. Es ist
schön zu sehen, dass meine Kündigung diese Beziehung in keinster Weise
beeinflusst hat.
torwart.de: Inwiefern kann man in England von einer Torwartmisere der englischen Torhüter sprechen?
Leitert: Ich denke, es ist gefährlich von einer 'Torwartmisere' zu sprechen, ohne die
Fakten objektiv zu beurteilen. Natürlich ist die absolute Anzahl und der
relative Prozentsatz von ausländischen Torhütern, die in der Premier League
spielen, sehr hoch, jedoch muss man auch bedenken, dass auch der generelle
Prozentsatz von ausländischen Spielern in der Premier League sehr hoch ist.
Und man spricht ja auch nicht unbedingt von einer Misere von englischen
Mittelfeldspielern. Ich habe mit einigen Leuten das englische
'Torwartproblem' diskutiert und man muss dazu eines sagen: Aufgrund der
extrem starken ausländischen Konkurrenz ist es speziell für englische
Torhüter extrem schwer, sich zu etablieren. Das heißt, dass jeder junge
aufstrebende Torhüter (wie Joe Hart von Manchester City, oder Scott Carson
von West Bromwich) ausschließlich an der Weltspitze gemessen wird - sprich
man vergleicht 2x die Woche Joe Hart mit Peter Cech oder Pepe Reina. Dazu
kommt, dass der Druck durch Öffentlichkeit, Medien oder ausländische (und
ungeduldige) Klubbesitzer immens hoch ist und dem Trainer oder dem Spieler
eigentlich keine Zeit zur Verfügung steht, sich zu entwickeln. Joe Hart ist
beispielsweise ein großes Talent, spielt mit 21 Jahren schon die zweite
Saison bei Man City und dennoch fragt man sich eigentlich nur noch, wann
endlich ein Kaliber wie Buffon oder Casillas an seiner Stelle verpflichtet
wird. Ich hatte im vergangenen Juni ein langes Telefonat mit dem
letztjährigen schwedischen Co-Trainer von Man City und er sagte mir, dass er
bislang kaum ein größeres Torhüter-Talent gesehen hatte. Dennoch bleibt am
Ende die Frage, ob es in der Englischen Premier League in Zukunft noch
möglich sein wird, dass sich junge Torhüter etablieren können oder ob dieser
Markt ausschließlich routinierten und erfahrenen Torhütern vorbehalten ist.
Das Bild der englischen Torwartmisere wurde ja eigentlich erst in England
groß gemacht. Seaman wurde vernichtet, als er bei der WM 2002 einen genialen
Freistoß von Ronaldinho passieren ließ, Robinson wurde während der
Qualifikation für die Euro 2008 nach dem Auswärtsspiel gegen Kroatien
schuldlos vernichtet weil er einen Rückpass, der sich unmittelbar vor dem
Kick versprang, passieren ließ und David James erging es bislang auch nicht
anders. In Summe muss man sagen, dass es für junge englische Torhüter sehr
schwer ist, sich gegen die Weltspitze durchzusetzen, auf der anderen Seite
sind die routinierten englischen Keeper einem extremen medialen Druck
ausgeliefert, der natürlich das vorhandene Bild aufrechterhalten möchte und
daher jeden Fehler extrem vernichtet. Es bleibt abzuwarten, wie die
zukünftigen Leistungen englischer Keeper bei der zukünftigen
Weltmeisterschaft ausfallen werden. Die bisherige Qualifikation läuft ja
recht positiv.
torwart.de: Welche Erkenntnisse nimmst Du für Dich aus dem Engagement bei Tottenham mit?
Leitert: Die Haupterkenntnis ist die, dass der Einfluss des Trainers auf die Leistung des Spielers ist in bestimmten Situationen extrem begrenzt ist.
torwart.de: Wie fällt der Rückblick auf die Torhüterleistungen bei der EM aus?
Leitert: Ich bin gerade dabei, das Torhüterspiel bei der EM in alle Einzelheiten zu
zerlegen und zu analysieren. In zwei bis drei Monaten kann ich mehr dazu
sagen.
torwart.de: Wie hoch ist der Stellenwert des Torwarttrainings in der englischen Liga im Vergleich zu den Ligen, in denen Du bisher gearbeitet hast?
Leitert: In England ist der Stellenwert des Torwarttrainers höher einzustufen als in Spanien zum Beispiel. Aber dennoch möchte ich sagen, dass ich auch in Spanien
ausreichend Zeit und Möglichkeiten hatte, meine Inhalte zu platzieren und
umzusetzen. Ich denke, dass es im Endeffekt ausschließlich darauf ankommt,
welchen Inhalt du als Trainer liefern kannst. Wenn der Verein sieht, dass sie von deinen Inhalten profitieren können, werden sie dir immer
den nötigen Freiraum gewährleisten.
torwart.de: Zum Torwartspiel in der Premiere League:
Welche Torwarttypen kann man dort verstärkt erkennen?
Leitert: Das hängt von der Philosophie des Cheftrainers ab. Trainer wie Scolari,
Ramos, Wenger oder Benitez vertrauen auf ausländische (teilweise
südländische) Torhüter, die ihre Spielphilosophie am ehesten umsetzen
können. Englische Trainer wie beispielsweise Paul Ince forcieren hingegen
englische (wie Paul Robinson) oder skandinavische Torhüter, weil auch die am
ehesten ihrer Vorstellung entsprechen. Man kann aufgrund der vielfältigen
Spielphilosophie, die in der Premier League vorhanden ist, nicht von einem
generellen Torwarttyp sprechen.
torwart.de: Gibt es konzeptionelle Unterschiede zu Deiner Torwartphilosophie?
Leitert: Das ist schwer zu beurteilen, da ich die anderen Torwarttrainer und deren
Auffassung von Spiel und Training zu wenig kenne. Ich habe ausschließlich zu
Raymond van der Gouw (Torwarttrainer von Sunderland) sehr intensiven Kontakt
und muss sagen, dass auch seine Vorstellungen den meinen sehr ähnlich sind.
torwart.de: Welche deutschen Torhüter würden aus Deiner Sicht in die Premiere League passen?
Leitert: Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage denn ich habe in den letzten
zwei Jahren die deutschen Torhüter aufgrund meiner Tätigkeit in Spanien und
England zu wenig intensiv verfolgen können. Dennoch kann ich bestätigen dass
auch ich speziell der jungen Torhütergeneration (wie Neuer von Schalke)
gewisse Chancen einräume, in Zukunft mal in der Premier League Fuß fassen zu
können. Man muss aber darauf gefasst sein, dass das Spiel in England sehr
intensiv ist und einen im Strafraum aktiven Torhüter erfordert.
torwart.de: Was waren eigentlich die genauen Gründe für die Beendigung des Engagements bei Tottenham?
Leitert: Nachdem die Klubführung Trainer Ramos und Sportdirektor Comolli entlassen
hatte, wurde dem Nachfolger Harry Redknapp das Recht eingeräumt, einen
eigenen Betreuerstab zu installieren. Dieser neue Betreuerstab enthielt auch einen Torwarttrainer.
torwart.de: Ein Blick in die Zukunft: Welche zukünftigen Aufgaben und Ligen würden Dich reizen?
Leitert: Ich würde gerne noch mal in Spanien arbeiten. Aber es würden mich auch neue
Herausforderungen wie Italien, Frankreich oder auch Deutschland reizen.
Vielleicht wird es aber auch etwas Exotisches... Ich bin ziemlich gespannt
was die Zukunft bringt und weiß nur, dass ich auf jedem Niveau arbeiten
kann. Ich habe gelernt, dass man eine Karriere als Torwarttrainer sowieso
nicht planen kann - man kann nur versuchen qualitativ hochwertig zu arbeiten - von wo dann der entscheidende Telefonanruf kommt, steht in den Sternen...
torwart.de: Gibt es schon wieder neue Ideen weitere Unterlagen/Bücher zu publizieren?
Leitert: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich viele Ideen betreffend neuer
Publikationen habe und gerade dabei bin, diverse Konzepte für weitere Bücher
bzw. Videomaterialien zu verfassen. Wann genau ich jedoch wieder etwas
publizieren werde, hängt davon ab, wo und ab wann ich wieder als Trainer
tätig sein werde.
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