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Home > Archiv > 2. Fotostrecken-Archiv > 2.11 Fotostrecken 2008 und älter > Deutschland - England 1:2

Adler und Wiese in der Analyse im Länderspiel gegen England

Vielleicht war es doch eine gute Idee, dass Joachim Löw Jens Lehmann das erhoffte Abschiedsspiel gegen dessen zweite Wahlheimat England verweigerte: So blieb genügend Stoff, um die deutsche Torhüterfrage erneut zu befeuern. Der Bundestrainer setzte im Freundschaftsspiel gegen die Briten zunächst auf seine aktuelle Nummer Eins, den Leverkusener René Adler. Zur zweiten Hälfte brachte Löw Tim Wiese, für den Bremer ging nach eigenen Angaben damit ein „Traum in Erfüllung.“ Noch vor wenigen Monaten schien es ausgeschlossen, dass der extrovertierte Werder-Torwart unter dem biederen DFB-Coach auch nur eine Minute spielen würde. Wiese hatte Löw in Interviews kritisiert und sich damit den Ärger der DFB-Verantwortlichen eingehandelt.

torwart.de hat sich beide Torhüter natürlich ganz genau angeschaut. Konnte Adler gegen die robusten Briten überzeugen? Ist Wiese reif für die Nationalmannschaft? Und: hielt die Frisur des Bremers dem Berliner Schmuddelwetter stand? Antworten.

René Adler – 1. Halbzeit

Adler, von den Fans bereits beim Aufwärmen gefeiert, war gleich nach zwei Minuten hellwach, als er sicher gegen den schnellen Defoe parierte. Bei Abschlägen und Abwürfen ist der Leverkusener jetzt schon europäische Spitzenklasse: Während das müde und träge vor sich hinwankende deutsche Mittelfeld keine raumgreifenden Pässe produzieren wollte, sorgten Adlers weite Bälle immerhin für ein bisschen Verwirrung in der englischen Hintermannschaft. Auf der Linie ist Adler eine Klasse für sich, Fehler bei der Abwehr von harten Distanzschüssen sind nicht bekannt. Auch gegen die dauerhaft gefährlichen Briten bewies der junge Torhüter sein Geschick. Allerdings scheint Adler ein leichtes Defizit in der körperlichen Belastbarkeit zu haben. Das hat sich bereits in den vergangenen Wochen in einzelnen Szenen angedeutet, gegen die resoluten Gäste aus Großbritannien wurde es offenkundig. Erst ließ sich Adler bei einem Laufduell mit einem Bodycheck fast bis zur Werbebande schleudern, dann kassierte er das 0:1 durch Upson, weil sein linker Arm bei der versuchten Faustabwehr am Ellenbogen von Gegenspieler Defoe hängen geblieben war. „Wie beim Skifahren“, fabulierte TV-Experte Oliver Kahn zur Halbzeitpause, „er hat sich einfach beim Gegner eingefädelt.“ Kahn wollte Adlers Verhalten nicht als fehlerhaft einstufen, bemerkte allerdings, dass „ein Torhüter den Ball immer haben muss, wenn er aus seinem Tor kommt.“ Möglicherweise fehlt es dem elastischen, aber schmächtigen Adler noch an etwas Muskelmasse. Für den immer härter werdenden Luftkampf benötigt der Torhüter nicht nur Timing, Talent und Mut zum Risiko, sondern ein breites Kreuz, um den gegnerischen Angreifern die Lust am Kopfballduell zu nehmen. Dass Adler aber dennoch ein gutes Spiel machte, lag daran, dass er als einer der wenigen deutschen Spieler sein Talent und Können zeigen konnte. Während Feldspielern, wie Jones oder Rolfes die Bälle regelmäßig vom Fuß glitten, brachte Adler sämtliche Rückpässe sicher an den Mitspieler und war auch bei diversen Fernschüssen immer Herr der Lage. Zudem deutete Adler wie so oft schon an, dass er in der Lage ist das moderne Torwartspiel des mitspielenden Torwarts in Vollendung umzusetzen. In seiner weiteren Entwicklung an die Weltspitze wird das umstrittene 1:0 der Engländer bestimmt ein wichtiger Meilenstein sein. Wie sagte Kahn: „Du brauchst auch solche Situationen um weiter zu kommen.“

Tim Wiese

Einen warmen Applaus hätte sich sicherlich auch Tim Wiese gewünscht, als er nach dem Seitenwechsel seinen Fünf-Meter-Raum betrat. Doch an die Abneigung der Zuschauer hat sich Wiese gewöhnt, zu sehr spaltet sein optisches Klischee vom gegeelten Torwart-Proll die Fußball-Nation. Den Engländern stand jedenfalls ein ganz anderes Kaliber im deutschen Tor gegenüber. Zwar sind Wiese und Adler nahezu gleich groß, doch während beim Leverkusener das Trikot am Körper schlackert, stülpt Wiese seinen muskulösen Oberkörper gerne in enge Leibchen. Er wirkt dann wie ein Kirmesboxer. Der Vergleich mit einem Faustkämpfer sticht vielleicht, dennoch lassen sich gewisse Ähnlichkeiten im Bewegungsablauf nicht ignorieren. Wie ein Boxer lebt der Bremer von seiner Explosivität, eine Eigenschaft, die auch Fernsehmann Kahn anzusprechen scheint. Der hauchte dem Kollegen Kerner bei der Nachbetrachtung von Wright-Phillips Schuss Mitte der zweiten Halbzeit ins Ohr: „Weltklasse!“ Kahn hatte gesehen, was 95 Prozent der Zuschauer im Stadion wohl entgangen war: Mit einer irren Parade hatte Wiese den nach Außen abdriftenden Schuss noch mit den Fingerspitzen erreicht und so die Flugbahn entscheidend abgelenkt. Der Rechtsschuss des ehemaligen Chelsea-Stürmers (spielt jetzt bei Manchester City) jagte an den Außenpfosten. Die englischen Versuche erwiesen sich als dankbar für den DFB-Debütanten. Seine Stärken liegen im Reflexverhalten und im Zweikampf. Dennoch war seine Abwehr gegen den alleine auf sein Tor zulaufenden Bent großartig. Wiese hatte den bereits an ihm vorbei gelaufenen Bent noch erreicht und ihm den Ball kurz von der Stiefelspitze gespitzelt. Der Hotspurs-Angreifer trat anschließend in den Boden, der Ball kullert am Tor vorbei. Wiese hat sich für weitere Einsätze empfohlen, auch wenn alles darauf hindeutet, dass sich Konkurrenzkampf im deutschen Tor wohl zwischen Adler und dem Hannoveraner Enke abspielen wird, sofern der 96-Spieler seine alte Form nach der auskurierten Verletzung wieder erreichen kann. Immerhin: Wiese hat sich als echte Alternative, gerade gegen körperlich robuste Gegner, erwiesen. Das ist mehr, als ihm manch einer vor dem Mittwochabend zugetraut hatte.

 


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