Der Tscheche Petr Kouba galt als einer der besten Torhüter seiner Generation – bis er heute vor genau 15 Jahren einen harmlosen Schuss von Oliver Bierhoff durchrutschen ließ und so für das erste »Golden Goal« der Fußballgeschichte sorgte.
Fußball ist ein fürchterlicher Sport. Ein Tor kann eine gesamte
Saison zerstören. Und Sekunden können über eine Karriere entscheiden. Petr Kouba
war ein erfolgreicher Fußballprofi, als er heute vor 15 Jahren auf den Rasen
des Wembleystadions lief, um für sein Land die Europameisterschaft zu gewinnen.
In 152 Spielen für Sparta Prag war Kouba zum Nationaltorwart Tschechiens aufgestiegen,
hatte seine Mannschaft mit einer irren Elfmeterparade im Halbfinale gegen Frankreich
erst in dieses Endspiel gebracht. Die EM 1996 hätte sein Turnier werden können,
hoch dotierte Werbe- und Transferverträge hätten den silbernen EM-Pokal für
Kouba vergolden sollen. Es wäre ein märchenhafter Aufstieg gewesen. Aber als
Schiedsrichter Pierluigi Pairetto das Spiel nach 95 Minuten abpfiff, war Petr
Kouba nur noch die ärmste Sau der Welt. Der Trottel von Wembley. Er alleine
hatte das Finale gegen die Deutschen verloren.
»Ich bekam den Ball von Jürgen Klinsmann, ich deckte ihn ab,
mein Gegenspieler klebte an mir dran. Eigentlich wollte ich mich nach links
drehen und abspielen, da rief Marco Bode plötzlich ´andersum´. Als ich mich
drehte, war da niemand. Und mir blieb nichts anderes übrig, als zu schießen.
Einfach blind drauf.« Einfach blind drauf – so beschrieb Oliver Bierhoff
wenige Tage nach dem Finale die Sekunden vor dem größten Moment seiner Karriere.
Mit einem wuchtigen Kopfball hatte der eingewechselte Bierhoff nach 73 Minuten
zunächst zum 1:1 ausgeglichen.
Petr Kouba versagten im wichtigsten Spiel seiner Karriere die Nerven
Nun, in der fünften Minute der Nachspielzeit, versuchte er es
erneut. Ein schwacher Schuss, nicht richtig getroffen, nicht richtig platziert.
Ein Ball, den Petr Kouba in seinem Leben schon tausende Mal zuvor ohne
Problem gehalten hatte. Doch im wichtigsten Fußballspiel seines Lebens, versagten
bei Kouba die Nerven. Der Ball rutschte ihm durch die Hände, drückte sich vorbei
am dicken Schaumstoff seiner Handschuhe. Wie in Zeitlupe trudelte das Spielgerät
über den fein gemähten Londoner Rasen, tropfte gegen den Pfosten und von dort
über die Linie. Das Stadion explodierte, Bierhoff riss sich das Trikot vom Körper
um ins Nirwana zu sprinten. Auf der Pressetribüne brauchte ZDF- Mann Béla Rethy
einen Augenblick, bis er die Bedeutung dieses Tores, des ersten »Golden Goals«
der Fußball-Geschichte, begriffen hatte.
Rhety rief: »Es war zwar ein Torwartfehler von Petr Kouba, aber davon spricht später niemand mehr. Lassen sie die Korken knallen, liebe Freunde!« Und während sich Deutschland am Gefühl der Euphorie besoff, brach Petr Kouba an seinem Torpfosten zusammen.
Die deutschen Spieler purzeltn über den Rasen, Trainer Berti Vogts umarmte jeden seiner Spieler, als seien sie lange verschollene Söhne.
Kouba: "Ich konnte den Ball nicht sehen!"
Die Tschechen schlichen in die Kabine und versuchten den Schmerz über die Niederlage in dänischem Bier zu ertränken. Ein Journalist streckte Petr Kouba sein Mikrophon vor das Gesicht. Der Torwart heulte wie ein Schlosshund und schluchzte: »Ich konnte den Ball nicht sehen!« In seiner Heimstadt Prag starben an diesem Abend zwei Menschen vor dem Fernseher. Das »goldene Tor« hatte ihr Herz explodieren lassen.
Wochen später ist der Schmerz über die Niederlage verflogen. Die Welt verbeugt sich vor den Außenseitern aus Tschechien, die nur ein hässliches Gegentor daran hinderte, Europas Fußballthron zu besteigen.
Petr Kouba unterschreibt einen neuen Vertrag. Für 700.000 Euro
verkauft ihn Sparta Prag zum spanischen Erstligisten Deportivo La Córuna
aus. Und nichts ist plötzlich mehr so wie es mal war.
In Spanien macht Kouba nur vier Spiele. In der Premiera Division
dürfen 1996 nur drei Ausländer pro Mannschaft eingesetzt werden und für diesen
Luxus scheint sich ein Einsatz des tragischen Verlierers des EM-Endspiels nur
bedingt zu lohnen. Nach nur einer Saison geht Kouba nach Deutschland,
Otto Rehhagel sucht nach einer Alternative für Torwart Andreas Reinke beim Zweitligaaufsteiger
1. FC Kaiserslautern.
Debakel beim 1. FC Kaiserslautern: Sperre wegen Dopings
Für Petr Kouba wird die Saison zu einem Debakel. Während sein
Konkurrent Andreas Reinke sämtliche Spiele absolviert und der FCK die
sensationellste Meisterschaft der Bundesliga-Geschichte feiert, wird Kouba im
April 1998 wegen Dopings gesperrt. Der am Knie verletzte Kouba hatte sich im
Frühjahr mit dem Anabolikum »Megagrisivit mono« behandeln lassen, es allerdings
seinen Vereinsärzten davon zu erzählen. Das Sportgericht des DFB sperrt Kouba
für vier Wochen.
Ankläger Ralf Flügge sagt: »Kouba wurde mit insgesamt 65 chemischen Substanzen behandelt. Von einem erfahrenen Profispieler, der so medikamentös eingedeckt wird, muss man erwarten, dass er sich selbst die Dopingfrage stellt.« Ohne ein Bundesligaspiel gemacht zu haben, als Dopingsünder gebrandmarkt, wird Kouba vom Hof gejagt wie ein geprügelter Hund.
Flucht in die Heimat zu Viktoria Zizkov
Kouba flieht in seine Heimatstadt Prag, Viktoria Zizkov gewährt im Unterschlupf. Und endlich darf der Torwart wieder Torwart sein – am Ende der Saison hat Kouba 23 Spiele gemacht, fünfmal so viel, wie in den zwei Jahren zuvor. Aber er ist nur ausgeliehen, die Transferrechte hat immer noch Deportivo La Coruna. Also wieder Spanien. Eine Saison, zwei Spiele, Danke, Tschüss. Das Selbstvertrauen des Finalteilnehmers von 1996, des ehemals stolzen tschechischen Nationaltorhüters Petr Kouba, ist längst zerstört. Seine Karriere, zu einem Treppenwitz der Fußballgeschichte verkommen, endet schließlich 2005 bei Sparta Prag mit einer Einsatzbilanz von drei Spielen aus drei Jahren. Eine Knieverletzung beendet seine Laufbahn vorzeitig. Natürlich.
Bierhoff wollte Kouba trösten
»Als wir auf dem Rasen standen und unseren Triumph feierten«,
hat Oliver Bierhoff kurz nach dem EM-Triumph 1996 gesagt, »musste ich
an den Gegner denken. Besonders an Petr Kouba. Tschechiens Keeper tat mir unheimlich
leid. Weil er meinen Schuss nicht festhalten konnte, war er der große Verlierer.
Ich der große Gewinner. So eng liegen Glück und Pech zusammen. Ich wollte ihm
noch ein paar tröstende Worte sagen.« Aber im Trubel fand er ihn nicht mehr.
Da war Petr Kouba, der Pechvogel von Wembley, längst von der Bildfläche verschwunden.
Kommentare (0)
Keine Kommentare vorhanden!