"Der Fels in der Brandung" - "hautnah" bei torwart.de (26.04.08)
Über die Zukunft des Torwartnachwuchses in Deutschland
von Jörg Scharnweber
Über viele Jahre standen deutsche Torhüter weit abseits der Kritik. Zu gut
war ihre Ausbildung, stets solide ihr Auftreten, makellos ihre Leistungen. Oft
genug kamen gleich mehrere Spitzentorleute für den einzigsten Arbeitsplatz in
der Nationalmannschaft in Frage: Wolfgang Kleff, Bernd Franke und der Amtsinhaber
Sepp Maier. Toni Schumacher und Uli Stein. Andy Köpke und Olli Kahn. In Deutschland
war es über viele Jahre ein ungeschriebenes Gesetz, daß der Posten der bundesdeutschen
Nr. 1 wie in einem Beamtenapparat weitergegeben wurde: Der scheidende Amtsinhaber
übergab seinen Posten an den bisherigen Ersatzmann. Und alle hinter dem Ersatztorwart
stehenden Keeper rückten um jeweils einen Platz in der Hierarchie auf, bis sie
irgendwann selber an der Reihe waren. Vorausgesetzt, sie erreichten nicht zwischenzeitlich
das fußballerische Rentenalter.
Auch dem zahlungskräftigen Ausland blieb nicht verborgen, daß es in Deutschland
bei den Spitzenklubs und in der Nationalmannschaft nie zu personellen Ausfällen
zwischen den Pfosten kam. Hatte der Sturm auch eine Champions-League-verdächtige
Durchschlagskraft wie 1965/66 die Angreifer von Tasmania Berlin mit 15 Saisontoren,
war das Mittelfeld ideen- und farblos wie unsere Nationalelf bei der EM 2000
oder die Verteidigung so stabil wie das 120-Gegentore-Abwehrbollwerk des Südzweitligisten
FK Pirmasens in der Saison 77/78: Die Torhüter waren allesamt Könner ihres Fachs.
So war es nicht verwunderlich, daß die großen Klubs im Ausland immer öfter
deutsche Keeper verpflichteten. Doch merkwürdigerweise schien das Ausland nur
selten ein gutes Pflaster für deutsche Torhüter zu sein. Aktuelles Beispiel
neben Timo Hildebrand ist Jens Lehmann, der in seinem ersten Versuch beim AC
Mailand auf nur fünf Einsätze kam, bevor er frustriert zu Borussia Dortmund
wechselte. 2003 wagte er den Sprung in die Premier League, wo er es bisher auf
eine beachtliche Zahl an Einsätzen für die "Gunners" brachte. Doch diese Saison
scheint Lehmann wirklich nicht mehr gefragt zu sein. Können sich deutsche Torhüter
im Ausland nicht durchsetzen? Fast möchte man meinen, ihre Ausbildung und ihre
Spielweise passe nicht zu den ganz großen Vereinen. Denn solides Handwerk stand
bei deutschen Keepern seit jeher höher im Kurs, als eine spektakuläre Spielweise
eines René Higuita oder Jorge Campos. Ausnahmen gab es in der Vergangenheit
dennoch: Toni Schumacher erarbeitete sich während seines Engagements in der
Türkei einen Superstarstatus. Getragen durch die südländische Fußballbegeisterung,
kam Schumacher eine Verehrung durch die türkischen Fans zuteil, die er vorher
und auch in den späten Profitagen nie mehr erlebt hatte. Auch Andy Köpke, seit
jeher ein Bilderbuchprofi, der souverän und ohne lautes Gepolter seinen Job
erledigte, gehörte in seinen zwei Spielzeiten bei Olympique Marseille zum Stammpersonal.
Und Köpke trat in Frankreich so auf, wie man ihn aus der Bundesliga kannte:
Bescheiden und ohne Skandale. Stets wußte er mit Leistung zu überzeugen, niemals
mit Gepolter vor der Kamera.
Wer den Nachwuchs aufmerksam beobachtet, dem muß um die deutsche Torhütergilde
auch in Zukunft nicht angst und bange werden. Wenn Jens Lehmann voraussichtlich
nach der EM 2008 seine internationale Karriere beendet, drängeln sich ein halbes
Dutzend erfahrene Keeper um den frei werdenden Posten, wobei Hildebrand und Enke
die besten Chancen eingeräumt werden. Oder schafft es jemand, den derzeit niemand
auf der Rechnung hat? Mit Adler und Neuer haben immerhin zwei Youngsters den Sprung
in die Bundesliga geschafft und konnten die alt-gedienten Kräfte zwischen den
Pfosten verdrängen. Glücklicherweise spielen sie bei Vereinen, die ihnen aufgrund
ihres Alters noch den einen oder anderen Fehler verzeiht - vorausgesetzt, er wird
in den verbleibenden 89 Spielminuten mit dem entsprechenden Einsatz wettgemacht.
Wie die Entwicklung eines Michael Rensing in den nächsten Jahren verlaufen wird,
ist kaum vorherzusagen. Sicher erhält er bei den Bayern ein sehr qualifiziertes
Torwarttraining bei gleich drei Torwarttrainern (Sepp Maier, Bernd Dreher sowie
Walter Junghans). Doch es grenzt an Utopie, daß der FC Bayern einem Nachwuchstorwart
ohne jede Bundesliga-Spielpraxis angeblich diese riesige Chance bietet, wo unter
den Feldspielern die Elite gerade gut genug ist. Top-Leute wie Ismael werden emotionslos
zur Winterpause abgegeben, die Hoffnungen des FC Bayern sollen aber angeblich
auf einem jungen, unerfahrenen Keeper ruhen, der lediglich in der zweiten Mannschaft
unter Hermann Gerland in der Regionalliga Süd zum Einsatz kam? Wirklich sehr schwer
vorstellbar. Weiterhin bleibt abzuwarten, wie der neue Trainer der Bayern Jürgen
Klinsmann diese Situation einschätzen wird.
Unabhängig davon, wie die Torhüterfrage beim FC Bayern in Zukunft gelöst wird,
der Torhüternachwuchs in Deutschland boomt weiterhin. Da paßt es gut in den
fußballerischen Zeitgeist, daß seit September 2007 die Deutsche Torwartschule
unter der Schirmherrschaft von Andy Köpke an den Start gegangen ist. Die Deutsche
Torwartschule hat nichts mit einer Fußballschule gemein, in der ein ehemaliger
Fußballprofi den Anspruch der Eltern während der Schulferien erfüllen soll,
aus ihren schwerfälligen Kindern hoffnungsvolle Talente zu schmieden. Denn wer
vor einem Camp nur Reservekeeper der D4 war, wird auch nach fünf Tagen Fußballschule
nicht ein aussichtsreicher Kandidat für das Tor der D1 sein. Ein bißchen Talent
und vor allem Trainingsfleiß gehören wie überall eben doch dazu.
Der Anspruch der Deutschen Torwartschule ist ein hoher: Ausgebildete Torwarttrainer
mit Einfühlungsvermögen kümmern sich um den Nachwuchs mit der Nr. 1 auf dem Rücken
und nicht übergewichtige Trainer, die sich mit Mühe in ihre Trainingsanzüge zwängen,
während der Trainingseinheiten mit den anwesenden Eltern plaudern und insgeheim
schon an die abendliche Schafkopfrunde im Vereinsheim denken.
Denn es gilt bei den Torhütern nicht nur technische und konditionelle Fähigkeiten
zu stärken und auszubauen. Auch das Selbstbewußtsein der jungen Torleute muß
in den Ausbildungseinheiten gefestigt werden. Jeder, der im Laufe seiner Fußballerkarriere
selbst im Tor stand, kennt den Hohn und Spott der Mannschaftskameraden nach
einer 0:12-Packung. Schuld an diesem Debakel ist natürlich nur der Torwart.
Das in diesem Spiel aber die eigenen Abwehrspieler ängstlich den Kopf einzogen,
wenn der bullige griechische Stürmer des Gegners aus der zweiten Reihe abzog,
davon redet nach dem Spiel keiner. Oder vom Komplettausfall des Schönlings im
eigenen Sturm, der nur darauf bedacht war, seine Fönfrisur nicht durch einen
unüberlegten Kopfball zu gefährden und ständig zu den kichernden Girlies am
Spielfeldrand stierte. Auch der vom Nachbarverein gewechselte, hoch gelobte
Mittelfeldstratege mit den akkurat geputzten Schuhen entpuppte sich als Niete,
der sich zur Halbzeit mit einer vorgetäuschten Zerrung auswechseln ließ und
seitdem nie mehr in der Nähe des Vereinsgeländes gesehen wurde.
Um die Kette vortrefflich ausgebildeter Torhüter auch in Zukunft nicht abreißen
zu lassen, müssen junge Keeper weiterhin gefördert werden. Diese Ausbildung
sollte nach Möglichkeit von einem übergeordneten Organ koordiniert werden. Hier
leistet die Deutsche Torwartschule wertvolle Arbeit. Doch auch die Vereine und
besonders die Landesverbände sind gefordert, entsprechende Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen
sowie Workshops für Torhüter und Torwarttrainer anzubieten. Denn gerade für
Torwarttrainer war das Ausbildungsangebot bisher eher schmal. Doch ein Aufwärtstrend
ist für alle Interessierten deutlich spürbar. Auch die Tätigkeit als Torwarttrainer
findet in der Öffentlichkeit endlich die Akzeptanz, die sie verdient. Vorbei
sind die Zeiten, in denen Mannschaftsbetreuer und Zeugwarte das Torwarttraining
übernahmen und später in der Vereinskneipe mit ihren Erfolgen prahlten ("Unserem
Keeper habe ich heute ordentlich eingeheizt. Von zwanzig Elfern waren glatte
fuffzehn drin."). Nicht ohne Stolz verweisen sie darauf, daß sie sämtliche Elfer
lediglich mit Straßenschuhen geschossen haben. Mit echten Fußballschuhen wäre
sicher eine noch bessere Trefferquote drin gewesen, geben sie im Kreise der
anderen Vereinsmitglieder zum Besten - und das hätte den Trainer der 1. Mannschaft
fast genötigt, den Zeugwart beim nächsten Punktspiel wirklich aufzustellen.
Schön, daß wir in Deutschland aus so einem großen Potential an begabten Torhütern schöpfen können. Doch für die Verantwortlichen sollte die Ausbildung der Spieler auch in Zukunft höchste Priorität genießen. Denn ein Keeper, der heute noch in der E-Jugend Bälle abwehrt, könnte in nur 10 Jahren bereits im Profibereich debütieren. Eigentlich eine sehr kurze Zeit, nicht wahr?
Dafür, daß es noch soviel zu lernen gibt.
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