Vielleicht war er der bestaussehende deutsche Nationaltorhüter - schließlich wurde er immer wieder mit dem US-Schauspieler Paul Newman verwechselt. Für Viele war er aber auch in seinem Fach der Beste. Und dies bis heute.
Denn im Direktvergleich würde er sich vor keinem der nach ihm regelmäßig zu Torwart-„Titanen“ erkorenen Amtsnachfolger verstecken müssen. Im Gegenteil: Der „König des Stellungsspiels“ stand meist schon dort, wo diese gerne spektakulär hinfliegen - nicht sel-ten um die Galerie zum Applaus zu animieren. „Bei aller Reaktionsschnelligkeit blieb er kühl bis ans Herz, bei jeder Parade sachlich wie ein aufgeräumter Schreibtisch“, beobach-tete Sportautor Jo Viellvoye. Doch wenn es denn einmal um pantherartige Robinsonaden ging, dann zeigte sich der 1,82 m große „schwarze Hans“ mit seiner enormen Sprungkraft ebenfalls als Torhüter der Weltklasse.
Bei der unvergeßlichen WM 1966 in England – Pelé wurde sogleich übel zusammengetreten, fortan entzückte Eusebio die Zuschauer – lieferte der Dortmunder Nationaltorwart reihen-weise Glanzparaden ab. Bis zum Finale mußte er nur zwei Gegentore hinnehmen. Doch wer an Tilkowski denkt, dem fällt zunächst ein Tor ein, das nicht fiel: das ominöse dritte von Wembley.
Die Briten sind faire Sportsleute. So wundert es nicht, daß ausgerechnet deren ruhmreiche Universität Oxford in den 90-er Jahren unzweifelhaft nachwies, daß das „3. Tor“ eben gar keines war - der Ball schlicht nicht hinter der Linie. Schütze Geoff Hurst später: „Nachdem ich jahrzehntelang die Wiederholungen gesehen hatte, muß ich einräumen, daß es so aus-sieht, als habe der Ball nicht die Linie überschritten.“ Die Pariser „L’Équipe“ war schon 1966 deutlicher: „Das dritte Tor – das niemals geschossen wurde …“
Hans Tilkowski hieß der Bedauernswerte, der den „Tor-Bock“ kassierte, den der sowjeti-sche Linienrichter Tofiq Bachramow geschossen hatte. Viele erfahrene Fußballer würden eher sagen: Tilkowski hat das Tor verhindert. Denn hätte er nicht dort gestanden, wo er lauerte, dann hätte sich der Schütze Geoff Hurst kaum genötigt gesehen, den Ball so hoch über ihn hinweg zu zielen, daß er nur die Querlatte traf.
In Wembley hatte Tilkowski den Fußballregeln nach ohnehin nur zwei reguläre Gegentore zulassen müssen. Denn auch das vierte hätte beileibe nicht anerkannt werden dürfen, da sich zu diesem Zeitpunkt bereits scharenweise siegestrunkene Zuschauer auf dem Platz tummelten. BILD hatte recht: „Wir haben 2:2 verloren“.
Es war denn auch ein maßlos enttäuschter, weinender Hans Tilkowski, dem Königin Elisabeth II. die Hand reichte. Die deutsche Mannschaft freilich gewann mit ihrer besonnenen Manier, mit der sie das Unrecht hinnahm, weltweite Sympathien.
Infos zu Hans Tilkowski:
Nationalität: Deutschland
Geburtstag: 12.07.1935
Geburtsort: Dortmund
Größe
(cm): 1,82
Vereine als Spieler: Eintracht Frankfurt (40 Spiele), Borussia Dortmund (81), Westfalie Herne (219), SuS Kaiserau, SV Husen
Länderspiele: 39
Vereine als Trainer: AEK Athen, 1. FC Saarbrücken, Werder Bremen, 1. FC Nürnberg, 1860 München, Werder Bremen
Erfolge als Spieler: Vizeweltmeister 1966, Europapokal der Pokalsieger mit Dortmund (1966), Deutscher Pokalsieger (1965), Vizemeister mit Dortmund (1965), Fußballer des Jahres 1965
Der Lorbeerkränze für den Vizeweltmeister Tilkowski sind viele geflochten: Er hielt den ersten Elfmeter der neugegründeten Bundesliga; unter den Schützen, die an ihm scheitern sollten, waren Franz Beckenbauer und Wolfgang Overath. 1964 wird er mit der russischen Torwartlegende Lew Jaschin in die Europa-Auswahl berufen. Als erster Torhüter wird er 1965 Deutschlands „Fußballer des Jahres“ - wozu jener Elfmeter, den er vor 143.000 Zuschauern in Rio de Janeiro gegen Brasilien hielt, beigetragen haben mag. Das „Sportmagazin“ titelte seinerzeit: „Nicht Pelé, sondern Til war der Größte“; der „Sportbeobachter“ ernannte ihn gar zum „Stern von Rio“.
Meister in der Bundesliga wurde er nie. Mit Borussia Dortmund errang er jedoch 1965 den DFB-Pokal. Ein Jahr danach gewann sein Team mit ihm als Rückhalt im Glasgower Hampden Park gegen den FC Liverpool als erste deutsche Mannschaft den Europapokal (der Pokalsieger) – welch ein Triumph! Kurz danach folgte die WM in England.
Der 1935 in Dortmund geborene Tilkowski, in einer Husener Zechenkolonie aufgewachsen, war nach guter westfälischer Art eher schweigsam und gelassen. Zu Späßen war er indes gerne aufgelegt, wie Auftritte in Fernsehshows bewiesen; doch Clownerien à la Sepp Maier und Petar Radenkovic waren ihm fremd. Ausflüge in gegnerische Strafräume waren den Schlußleuten damals ohnehin untersagt. Brutalitäten wie Kung-Fu-Tritte und Boxeinlagen seiner Nationalelf-Nachfolger Stein, Schumacher, Kahn, Wiese & Co. mag er, immerhin der anerkannte Meister des Faustens, mit Grausen betrachtet haben.
Nicht immer hatte er es leicht und mit manchen Trainern so seine Probleme, zumal er als dünnhäutig und durchaus auch als schwierig galt. Auf Unrecht reagierte er sensibel. Herberger zog ihm bei der WM 1962 in Chile in letzter Minute den jungen Fahrian vor. Woraufhin „Til“ sofort nach Hause fliegen wollte, was durch die Einbehaltung seines Reisepasses verhindert wurde. Für den sonst so Beherrschten untypisch - aber so wollen es die Gerüchte - zerlegte er sodann Teile seines Zimmers, betrank sich, schrie lauthals, er sei betrogen worden und soll Herberger auf dem Rückflug gar an den Kragen gewollt haben. Mit „dem Chef“ sprach er denn auch jahrelang kein Wort mehr. Dennoch: zwischen 1957 und 1967 absolvierte er unter Herberger und Schön 39 Länderspiele - teils als Kapitän der Nationalelf - womit er zeitweilig sogar deutscher Rekordnationaltorhüter war.
Ihm, dem Torwart der Extraklasse, wurden gleichwohl auch beim BVB (Wessel) und der Frankfurter Eintracht (Dr. Kunter) zeitweilig andere, ausgezeichnete Torwächter vor die Nase gesetzt. Bei Eintracht Frankfurt beendete er seine Karriere, schon mit 34 Jahren, in der fast erfolglosen Ära Ribbeck. Er wechselte sogleich auf den Trainerstuhl und rettete Werder Bremen vor dem Abstieg. Seine Karriere als Übungsleiter (Diplom als Jahrgangsbester, Note eins), die den Bodenständigen bis nach Athen führte, war letztlich eher wechselvoll.
Sein wohl bestes Spiel absolvierte er 1963 mit dem BVB in Lissabon (1:2 gegen Benfica, Rückspiel 5:0). Seinen letzten Auftritt im Torwartdreß absolvierte er mit 61 Jahren, ein Benefizspiel.
Seine „Torpfosten“ seien Glaubwürdigkeit, Menschlichkeit, Respekt, Gerechtigkeit, unterstrich er kürzlich noch. In Herne trägt die „Hans-Tilkowski-Schule“ sei-nen Namen. Der stets tadellose Sportsmann, um den es nie private Skandale gab, engagiert sich seit Jahrzehnten in vielfältiger Weise, ebenso beharrlich wie erfolgreich, für soziale Projekte, u.a. für leukämie- und tumorerkrankte Kinder. Er selbst – zu seiner aktiven Zeit kaum anfällig - war in den letzten Jahren an Krebs erkrankt und unterzog sich einer Bypass-Operation. Am 12. Juli 2015 wurde er 80 Jahre alt.
Helmut Rahn lehnte es in seinen letzten Lebensjahren ab, zum dritten Tor von London interviewt zu werden; er hatte schlicht genug davon. Hans Tilkowski bleibt geduldig, redet ebenso nachdenklich wie humorvoll darüber – und spricht sich gegen Torkameras aus - auch wenn es mit diesen damals wohl kaum ein Wembley-Tor gegeben hätte. Doch ohne dieses epochale Nicht-Tor: die Erinnerung an den feinen Sportsmann und Jubilar wäre in unserer schnellebigen Zeit nach fast einem halben Jahrhundert wohl kaum mehr so wach.
In diesem Video wird detailliert das umstrittene 3:2 - "Wembley-Tor" der Engländer gezeigt und in Zeitlupe analysiert.
In dem folgenden Video sehen wir die ausführliche Zusammenfassung des WM-Finals 1966 im Wembley-Stadion am 30.11.1966
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