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Dr. Göran Wild: "Fraktur von Manuel Neuer ist selten"

von T. Schlitzke

Was ist los bei Manuel Neuer? Dr. Göran Wild ist Sportmediziner in Leipzig bei der MEDIPLUS Praxisklinik. Torwart.de sprach mit dem Experten über die "Die Fraktur der Nation" von Manuel Neuer, Grenzen des Spitzensports und Möglichkeiten für Torhüter.

torwart.de: Ganz Deutschland schaut momentan auf Manuel Neuer. Wieso ist ein Haarriss im linken Mittelfuß so langatmig?

Dr. Göran Wild: Ein Haarriss im Mittelfuß ist nicht prinzipiell langwierig. Die meisten Fälle heilen zeitgerecht und problemlos aus. Zwei Gründe sehe ich für die Fälle mit verzögerten Heilungszeiten bzw. Refrakturen. Erstens und das betrifft nicht nur Leistungssportler, ist der Mittelfußbruch häufig Folge eines Vorschadens, sprich einer durch Fehlbelastung oder Überbelastung hervorgerufenen Ermüdung (so genannter Ermüdungsbruch), der dann spontan oder durch sehr geringe Traumata zu einem endgültigen kompletten Bruch oder Haarriß führt.

Diese Fehlbelastung/Überbelastungen sind oft nicht sofort und prinzipiell komplett zu beheben, so dass die eigentliche Ursache nach vermeintlicher Ausheilung weiterbesteht und den Knochen erneut stresst und damit das Risiko für eine Refraktur immer gegeben ist. Den zweiten Grund sehe ich besonders bei Leistungssportlern. Bei diesen kommt zur weiter bestehen Fehlbelastung dann auch noch eine oft zu rasche Überbelastung hinzu, da bekanntermaßen die Ausheilungszeiten im Leistungssport nicht ausreichen, weil Sportler, Verein oder der Trainer dies nicht immer zulassen und zu früh einen Return to sport "verlangen".

torwart.de: Auf was kommt es bei der Reha bei so einer Verletzung besonders an?

Wild: Das wichtigste bei derartigen Verletzungen ist es, den Knochen ausreichend Ruhe und Entlastung zu geben, dass dieser ausheilen kann, dafür ist es notwendig die auslösenden Ursachen zu vermeiden. Prinzipiell sollte man alles was Schmerzen verursacht vermeiden. Da kann es bei einem Fußballer ausreichen wenn er eine Trainings und Spielpause einlegt. Wenn er im Alltag schmerzfrei ist kann er da auch normal laufen. Beim Nichtsportler ist oft auch die Belastung im Alltag schmerzhaft, so dass dieser völlig entlasten, also sich mindestens 2-3 Wochen mit Gehstützen fortbewegen muss. Ich sage meinen Patienten immer: Wenn sie den Schmerz nicht ein einziges Mal am Tag merken, dann haben sie alles richtig gemacht und sich selbst optimal behandelt.

torwart.de: Manuel Neuer wurde zweimal innerhalb eines Jahres verletzt. Wieso passiert das Spielern so häufig?

Wild: Eine übermäßige Häufung derartiger Verletzung im Leistungssport - speziell im Fußball - ist nicht zu erkennen. Die Fraktur und Refraktur bei Manuel Neuer ist kein Einzelfall aber insgesamt vom Verlauf her selten. Entweder wurde die Primärfraktur nicht ausreichend ausbehandelt oder es wurde eine vorbestehende Fehlbelastung der Fuß-Beinachse nicht optimal korrigiert. Häufig wird auch primär die für Leistungssportler "falsche" Therapie gewählt. Während beim "Normalbürger" meist die Ruhigstellung und Physiotherapie reicht, hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass man Patienten mit hohen Belastungen besser primär operativ versorgt. Da diese Mittelfussbrüche im Röntgen oft nicht dramatisch aussehen und die Schmerzen vergleichsweise gering sind, ist man als Behandler oft geneigt es "erstmal so zu versuchen" und nicht zu operieren.

torwart.de: Sehen Sie bei Torhütern vermehrte Verletzungen im Vergleich zu Feldspielern?

Wild: Verletzungen von Torhütern sind natürlich absolut gesehen seltener da im Vergleich zu 10/13 Feldspieler pro Spiel und Mannschaft nur ein Torhüter einer Verletzung ausgesetzt ist, relativ gesehen sind Verletzungen aber häufiger. Dabei sind beim Torwart aufgrund der Exposition im Spiel besonders Hand-und Kopfverletzungen häufiger anzutreffen.

torwart.de: Ein Torwart springt vielmehr als ein Feldspieler. Gibt es dadurch andere Verletzungen und höhere Belastungen?

Wild: Die Belastungen bzw. die Gefahr für Verletzungen vom Torwart sind deutlich höher, da er ganz andere Bewegungsmuster ausführt und prinzipiell alle Körperteile in einen Zweikampf einbringen kann und darf. Durch die Benutzung der Hände sind Handverletzungen und durch z.Bsp. Sprünge und dem damit verbundenen Fallen und Stürzen auf die Schulter auch Schulterverletzungen häufiger. Die Tatsache, dass ein Torwart im Gegensatz zum Feldspieler (Fuß voran) eher mit dem Oberkörper (auch Kopf) voran in den Zweikampf geht, führt zu einer dtl. höheren Zahl an Kopfverletzungen.

torwart.de: Wie kann man aus medizinischer Sicht Verletzungen vorbeugen?

Wild: Verletzungen entstehen ganz allgemein durch ein Ungleichgewicht von Belastung bzw. einwirkender Kraft und der Belastungsfähigkeit der Strukturen. Da ich als ambitionierte Sportler die Belastungen nicht reduzieren kann (Stammplatztgefahr, Kontaktsport), muss ich also die Belastungsfähigkeit meiner Strukturen wie Muskeln Sehnen und Knochen verbessern. Das kann ich in erster Linie durch ein intensives Training (Stabilisierungstraining und Koordinationsverbesserung der Gelenke) ein intensives Krafttraining zur Steigerung der Belastungsfähigkeit und Ausdauer meiner Muskulatur und natürlich auch durch optimale Ernährung (z.b. Kalzium ,Vitamin D für meine Knochenstoffwechsel). Weiterhin sollte ich darauf achten, dass Belastung und Regeneration im optimalen Verhältnis steht.

torwart.de: Kommen Verletzungen häufiger vor, wenn man als Sportler über 30 Jahre alt ist?

Wild: Wenn sie mit über 30 auch 80-jährige meinen dann ja, ein 32 oder 35-jähriger hat keine größere Verletzungsgefahr als ein 25 oder 28-jähriger bei gleichem Trainingszustand. Das reine Alter ist dabei prinzipiell weniger entscheidend als der Trainingszustand und die Fitness.

torwart.de: Welche Fähigkeiten muss ein Fußballer besitzen, um in drei Tagen zwei Spiele absolvieren zu können?

Wild: Prinzipiell sollte erst mal jeder Fußballer in drei Tagen zwei Spiele absolvieren können. Wenn er dies dann noch mit 100-prozentiger Leistung machen möchte dann sollte er zum einen optimal austrainiert, im Belastungszeitraum allgemein gesund und "mental" unbelastet sein. Weiterhin sollte er durch eine optimale Ernährung seine Regenerationsfähigkeit erhöhen. Und er muss natürlich die Fähigkeit haben seinen Trainer davon zu überzeugen, dass er in beiden Spielen unersetzlich ist (lacht).

torwart.de: Inwieweit nutzt sofortiges Auslaufen und ein Bad im Eiswasser nach dem Spiel?

Wild: Ein Bad in kaltem Wasser bietet grundsätzlich jedem Sportler die Möglichkeit, nach einer intensiven Trainingseinheit die Regeneration der Muskeln zu beschleunigen. Zum Einen bringt sie die Körperzellen auf Betriebstemperatur, zum Anderen aktiviert sie den Stoffwechsel. Hierbei wird der Körper schnell abgekühlt und die Durchblutung wird gesteigert. Somit erholt sich die Muskulatur schneller. Das Auslaufen ist in erster Linie zum langsamen "herunterfahren" der Körperaktivität sinnvoll und dient als erstes Auflockern nach der Belastung.

torwart.de: Risse an den vorderen Kreuzbändern sind bei Frauen – bezogen auf die Spiel- und Trainingszeiten – viermal häufiger als bei Männern. Wieso ist das so?

Wild: In erster Linie hängt das mit anderen anatomischen Verhältnisse zusammen. Das sind zum einen spezielle anatomische Gegebenheiten im Knie selbst (Form der Kniegelenksflächen und andere Ansatzpunkte von Bänder) und zweitens mit sichtbaren anatomischen Unterschieden wie zum Beispiel ein breiteres Becken im Vergleich zur Körpergröße, meist eine X-Beinachse und primär instabilere Gelenke. All das führt zu ungünstigeren Becken-Bein-Fussachsen und Gelenkwinkeln. Auch eine hormonell bedingte allgemeine Schwächung des Bindegewebes und allgemein ein schlechterer Einfluss der weiblichen Hormone wird diskutiert, ist aber noch nicht eindeutig bewiesen.

torwart.de: Dr. Wild, wir bedanken uns für das hochinteressante Gespräch und wünschen Dir alles Gute für Deine Arbeit.

Wild: Vielen Dank.



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