Jürgen Croy gehörte in seiner aktiven Zeit zu den weltbesten Torhütern. Er wurde dreimal zum Fußballer der Jahres der DDR gewählt. Mit der Nationalmannschaft der DDR nahm er u.a. an zwei Olympischen Spielen teil, bei denen er Gold (1976) und Bronze (1972) gewann. Weitaus mehr Aufmerksamkeit erreichte aber der historische Sieg bei WM 1974 gegen die BRD.
torwart.de: Herr Croy, Sie haben als Torwart der BSG Sachsenring Zwickau und Nationalkeeper der DDR viele große Spiele erlebt. Können Sie sagen, welche drei Spiele die Spiele Ihres Lebens waren?
Croy: Ja, das kann ich sagen. Da wären zum einen das Olympiafinale 1976, das Pokalendspiel mit meiner Clubmannschaft 1975 und natürlich auch das deutsch-deutsche WM-Spiel 1974.
torwart.de: 1975 standen Sie sehr überraschend im Pokalfinale.
Croy: Wir sind, soweit ich mich erinnern kann, ziemlich sicher ins Endspiel marschiert. Was heißt ziemlich sicher, es waren sehr schwere Begegnungen dabei, aber ich denke, dass wir nicht unverdient im Finale standen.
torwart.de: In dem Dresden der haushohe Favorit war.
Croy: Das waren sie ganz sicher, aber wir haben, was der Spielverlauf auch gezeigt hat, an unsere Chance geglaubt. Für die Öffentlichkeit waren wir ein größerer Außenseiter als für uns selbst. Je mehr die Partie dem Ende zuging, desto größer wurden unsere Chancen. Und ein bisschen haben wir dann auch mit dem Elfmeterschießen geliebäugelt.
torwart.de: Dennoch ging Dresden zweimal in Führung. War die Sensation nach dem zweiten Gegentreffer in der 99. Spielminute immer noch in Reichweite?
Croy: Von da an hatten wir noch mehr als 20 Minuten um auszugleichen, was wir dann auch in der 118. Minute geschafft haben. Das war für die Besucher im Stadion gar nicht mal so überraschend, obwohl das Tor sehr spät gefallen ist. Wir haben uns einige gute Möglichkeiten herausgespielt und man hat gespürt, dass wir noch in der Lage sind, den Ausgleich zu schaffen.
torwart.de: Was empfindet man, wenn der eigenen Mannschaft in so einem Spiel kurz vor Schluss noch der Ausgleich gelingt?
Croy: Da fällt einem erstmal ein großer Stein vom Herzen. Dann hatten wir das psychologische Plus durch das späte Tor auf unserer Seite, denn die Dresdener standen ja schon kurz vor dem Pokalgewinn. Als Nationaltorhüter habe ich mir auch, ohne den Dresdner Kollegen unterschätzen zu wollen, größere Chancen ausgerechnet, im Elfmeterschießen etwas bewegen zu können.
torwart.de: Wie lief die Begegnung für Sie als Torhüter?
Croy: Für mich als Torwart war es ein durchschnittliches Spiel, aber dann kam natürlich dieser Kulminationspunkt Elfmeterschießen, der für uns Torhüter immer eine besondere Herausforderung darstellt. Zumal ich ja nicht nur als Keeper, sondern auch als Schütze aktiv war, was es zu diesem Zeitpunkt auf höherklassiger Ebene noch nicht gegeben hat.
torwart.de: Wurden Sie vom Trainer bestimmt, den letzten Elfer zu schießen?
Croy: Beim Elfmeterschießen ist ja nicht nur eine solide Technik, sonder vor allem ein starkes Nervenkostüm gefragt. Ich war auch ein guter Feldspieler und da hat sich schon die Woche vor dem Spiel herauskristallisiert, dass ich mit antrete. Das es nun ausgerechnet der letzte Elfmeter war, das war mein Wunsch. Sonst hätte ich meine Torwarthandlungen unterbrechen müssen und das wäre nicht gut für mich gewesen. Als letzter Schütze hatte ich vielleicht mehr Verantwortung, aber das war in Ordnung gerade weil ich vorher zwei Elfmeter der Dresdner parieren konnte.
torwart.de: Haben Sie im Training Elfmeterschießen trainiert?
Croy: Da ich ohnehin im Training ganz gerne »draußen« gespielt habe, hat sich gelegentlich schon die Situation ergeben, so etwas zu trainieren. Aber man kann Elfmeter nicht spieleffektiv trainieren, da im Training die nervliche Belastung fehlt.
torwart.de: War es der Einzige Elfmeter, den Sie in ihrer Karriere geschossen haben?
Croy: Nein, ich habe zwei Elfmeter in offiziellen Spielen geschossen. Zum zweiten Mal bin ich im Europapokal der Pokalsieger gegen den AC Florenz angetreten. Dort haben wir im Hinspiel 1:0 verloren, das Rückspiel 1:0 gewonnen und dann habe ich, vor 40 000 Zuschauern im Westsachsenstadion, wieder den letzten Elfmeter verwandelt - Ein sehr schönes Gefühl. Wir haben damals neben Florenz noch Panathinaikos Athen und Celtic Glasgow rausgeworfen und sind erst im Halbfinale gegen den späteren Sieger Anderlecht gescheitert.
torwart.de: Zwei Jahre zuvor haben Sie bei der WM 1974 gegen die BRD den Kasten sauber gehalten...
Croy: Also ich würde in der Rangliste auf alle Fälle das olympische Endspiel von 1976 ganz vorne anstellen, denn das war mein größter sportlicher Erfolg.
torwart.de: Obwohl dies die Öffentlichkeit weitaus weniger erreicht hat als der Sieg gegen Westdeutschland.
Croy: Man muss ja sehen, um in dieses Endspiel zu kommen, mussten wir in der Quali den Europameister von 1976, die CSSR ausschalten und in der Vorrunde sind wir auf Brasilien getroffen, zwar ohne die sieben oder acht besten Spieler, aber sie wissen ja, wie viele gute Fußballer Brasilien hat. Dann haben wir im Halbfinale die Sowjetunion geschlagen, die zu dieser Zeit eine große im Weltfußball gespielt hat.
torwart.de: Finalgegner war Polen.
Croy: Und die sind 1974 WM-Dritter geworden mit ihrer Mannschaft um Tomaszewski, Lato und Gadocha. Gegen diese Topmannschaft haben wir mit 3:1 gewonnen. Deswegen hat der Olympiasieg sportlich auch so eine hohe Bedeutung für mich.
torwart.de: 1974 sind Sie bei der WM noch in der sehr schwierigen Finalrundengruppe A gescheitert. Wäre eine Niederlage gegen die DFB-Elf, beide Teams waren ja schon für die nächste Runde qualifiziert, vielleicht besser für das weitere Abschneiden gewesen?
Croy: Obwohl die beiden deutschen Mannschaften schon durch waren, wollten sie dieses Spiel natürlich unbedingt gewinnen. Und wir waren wieder, analog zum Pokalfinale mit Zwickau, klarer Außenseiter, aber mit dem festen Ziel, uns so teuer wie möglich zu verkaufen, was uns ja dann auch gelungen ist. Ob der zweite Platz vorteilhafter gewesen wäre, darüber wurde im Nachgang viel spekuliert. Ich denke, wir hatten mit Sicherheit keine einfache Gruppe, aber wir hatten auch in dieser Gruppe unsere Chance und hätten gegen die Brasilianer nicht verlieren brauchen. Das Spiel um Platz drei wäre durchaus möglich gewesen.
torwart.de: Wie wichtig war dieser Sieg fürs Prestige?
Croy: Es war für beide Seiten ein Prestigespiel, damit meine ich nicht unbedingt nur die politischen Dinge, die selbstverständlich dahinter standen, sondern es ging ganz einfach darum, dass jeder Spieler zeigen wollte, dass er leistungsfähig ist und in der Welt mitmischen kann. Das Spiel wurde durch die hohe Brisanz ja in vielen Ländern ausgestrahlt und sehr viele Millionen Menschen haben zugeschaut.
torwart.de: Was ist Ihnen vom Spiel besonders in Erinnerung geblieben?
Croy: Das es ein sehr faires Spiel war, indem es Torchancen für beide Seiten gab, aber wir am Ende nicht unverdient gewonnen haben. Es hätte auch Unentschieden ausgehen können, aber man kann nicht sagen, dass es unverdient war.
torwart.de: Gab es besondere Prämien für den Sieg gegen die BRD?
Croy: Das ist ja immer von vorneherein festgelegt, was es für die einzelnen erreichten Ziele gibt. Für den unerwarteten Sieg der WM-Vorrunde bekamen wir insgesamt 5000 Mark. Das beinhaltete auch den Sieg gegen die BRD. Für diese Summe macht sich heute ja kaum noch jemand die Schuhe zu.
torwart.de: Mehr gab es nicht?
Croy: Nein, auch wenn in der Bevölkerung spekuliert wurde, dass wir Autos oder Ähnliches bekommen haben sollen. So war es nicht, es gab überhaupt nichts Weiteres. Nur im Hotelzimmer lag mal ein Kugelschreiber, den ein Unternehmen als Werbung hingelegt hat, aber nichts hochwertiges, sondern solche, die sie heute überall geschenkt kriegen.
torwart.de: Wem haben Sie im Finale die Daumen gedrückt?
Croy: Wir als Sportler haben das objektiv gesehen und wollten, dass die bessere Mannschaft den Sieg erringt.
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