torwart.de: Was sind Sie für eine Trainer-Typ? Der harte Hund, oder doch eher der Kumpel an der Außenlinie?
Leese: Naja, wahrscheinlich bin ich eher so ein Mittelding zwischen beiden Typen. Mit einigen meiner Spieler habe ich noch zusammengespielt, außerdem bin ich mit 38 auch altersmäßig nicht so weit entfernt. Ich versuche mir das gewisse Maß an Autorität über die fachliche Kompetenz zu erarbeiten. Bei mir gibt auch einen Strafenkatalog, ohne Disziplin geht es eben nicht. Man versucht halt seine Schäfchen in die richtige Spur zu lenken. Allerdings kommt man bei einem Amateurverein, wo jeder Spieler einen Job hat und man tatsächlich zusammen in einem Boot sitzt, gar nicht um diese Kumpelgeschichte Drumherum. Meine Jungs kommen teilweise noch mit dem Blaumann zum Training, wenn ich die abends noch zusammenscheiße und drille, wie bei der Bundeswehr, würde das alles gar nicht funktionieren. Ein gewisses Maß an Spaß gehört dazu.
torwart.de: Gibt es eine bestimmte Spielphilosophie, die der Trainer Lars Leese vertritt?
Leese: Ich habe schon ein System, auf das ich vertraue. Wir spielen meistens 4-2-3-1, also ganz modern mit zwei Sechsern vor der Abwehr, wie das auch bei vielen Spitzenklubs inzwischen üblich ist. Dann versuchen wir natürlich noch zwei, drei andere Spielsysteme einzustudieren, um auf bestimme Spielstände zu reagieren. Zurzeit schießen wir zwar viele Tore, bekommen aber auch eine Menge eingeschenkt. Wir arbeiten also noch an der Balance, wie es so schön in der neuen Trainersprache heißt…
torwart.de: Haben Sie sich in Ihrer aktiven Zeit etwas von den Trainern abschauen können, die Sie trainiert haben?
Leese: Natürlich nimmt man ein bisschen was mit. Man versucht dann das Gute zu übernehmen, und das Schlechte zu verändern. Jeder Fußballer hat sich ja schon einmal gefragt: „Hat der Alte sie heute noch alle, was soll der Scheiß denn?“ So ist das als Trainer, man kann es nie jedem recht machen.
torwart.de: Gibt es eigentlich etwas Unnötigeres als eine Torhüter-Diskussion in Deutschland?
Leese: Nein, das ist schon nötig! Wir hatten die Konstellation noch nicht, dass ein Torhüter, der bei seinem Verein auf der Bank sitzt für die Nationalmannschaft bei einem großen Turnier aufläuft. Das ist einzigartig und insofern ist eine Diskussion darüber durchaus gerechtfertigt.
torwart.de: Ein schönes Zusatz-Kapitel in ihrem Buch wäre doch: 8. Juli, Klagenfurt, und Lars Leese steht gegen Polen zwischen den Pfosten.
Leese:(lacht) Da hätte ich natürlich nichts dagegen, dafür müsste ich nur mal wieder die Handschuhe anziehen. Im Ernst: Ich werde im Rahmen der Fußballlehrerausbildung einige Spiele bei der EM zu sehen bekommen, hoffentlich auch Partien mit deutscher Beteiligung und drücke demjenigen, der im Tor der Nationalmannschaft steht, natürlich beide Daumen.
torwart.de: England hat die Qualifikation dagegen nicht geschafft. Liegt das auch an den schwachen Torhütern, die auf der Insel ihr Unwesen treiben?
Leese: Das ist auf jeden Fall ein Grund dafür. Selbst wenn Sie bei einem Turnier dabei sind: derjenige, der im Tor steht, schießt immer ein oder zwei Böcke. Garantiert. Die Engländer haben ein Torhüterproblem, das ist so. Ich habe das während meiner Spielzeit in England beobachten können: Die Keeper bekommen eine komplett andere Ausbildung. Dort wurde unglaublich viel Wert auf Abschläge, auf die schnelle Spieleröffnung gelegt. Der Fokus lag auch eher auf Antizipation statt auf Reflexen und Sprungkraft. Das hat mich damals auch sehr gewundert und ich habe es nicht adaptiert, einfach, weil ich schon zu lange Torhüter war, als das ich mich umstellen wollte. Das Torwarttraining war komplett anders. Und schauen Sie sich die Top-Torhüter in der Premier-League an: Alles Ausländer. So gesehen ist es ein „Glück“ für die Engländer, dass sie bei der EM nicht dabei sind und ausprobieren können, wer denn nun zwischen die Pfosten gehört.
torwart.de: Warum gibt es keine guten Torhüter in einem Land, das als Mutterbrust des Fußballs gilt und die aktuell beste Liga der Welt beheimatet?
Leese: Weil es seit 25 Jahren keinen einzigen Top-Torhüter mehr gab auf der Insel! Auch Peter Shilton war meiner Meinung nach kein Weltklassemann. Da muss man sich einfach mal die Turniere angucken, bei denen Shilton im Tor stand. Das war nicht überragend und Shilton hat im Nachhinein diesen Legendenruf nur deswegen erhalten, weil er noch im hohen Alter Nationaltorwart war. Was ich damit sagen will: Seit fast einem Vierteljahrhundert haben die jungen Nachwuchsfußballer in England keinen Torhüter mehr als Vorbild. Die wollen so sein wie Beckham, Rooney oder Christiano Ronaldo. In Deutschland ist das anders. Mein zehnjähriger Sohn findet Oliver Kahn klasse und steht deswegen im Tor. Wir haben die Vorbilder und deshalb auch immer wieder große Talente.
torwart.de: Können Sie den Engländern denn Hoffnungen machen, dass auch sie mal wieder gute Torhüter zur Auswahl haben?
Leese: Wenn man sich die Entwicklung so ansieht, wird das schwierig. Sehr schwierig sogar. Die besten Mannschaften der Liga setzen auf ausländische Keeper, und der Nachwuchs hat so keine Möglichkeit sich in der Champions-League mit den besten Stürmern der Welt zu messen. Wie soll sich ein Torhüter in Sunderland oder sonstwo dann weiter entwickeln?
torwart.de: Abschließend noch die Frage: Ihre bisherige Karriere als Trainer scheint ähnlich aufregend zu verlaufen, wie die Spielervita. Wie sehr prägen diese ersten Erfahrungen im Trainergeschäft?
Leese: Für meine persönliche Entwicklung sind diese drei Jahre natürlich enorm von Bedeutung. Ich bin mit meiner Mannschaft aufgestiegen, habe die Klasse gehalten und werde nun aller Voraussicht nach wieder absteigen, auch wenn die Konstellation mit sieben Absteigern besonders ist. Ich habe bislang viel lernen und reifen können. Als Trainer bist du ja für den Verlauf der Spiele mitverantwortlich. Ich habe falsche Entscheidungen getroffen und meine Schlüsse daraus ziehen müssen. Ich denke, dass die Zeit bei Bergisch-Gladbach deshalb eine überragende Schule ist.
torwart.de: Wenn also alles nach Plan verläuft, sind sie bald der „Traumtrainer“ und beerben Alex Ferguson in Manchester?
Leese: Dann geht´s bald in die Champions League, genau!
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