Schweinsteiger war wieder Ricardos Schreckgespenst
von Alexander Raack
Der „Man of the match“ im Spiel zwischen Deutschland und Portugal war schnell
gefunden: Bastian Schweinsteiger hatte gegen in der Gruppenphase so spielstarken
Portugiesen sein bestes Spiel seit knapp zwei Jahren bestritten, vielleicht
war es auch das Beste, was der Münchner jemals gezeigt hat. Doch der stille
Gewinner war ein anderer: Jens Lehmann. Der deutsche Nationaltorwart
hat harte Monate hinter sich: Im Verein ausgebootet, das Vertrauen der heimischen
Öffentlichkeit verloren, der Stammplatz bei der EM sogar kurz in Gefahr. Lehmanns
Auftritte in den drei Gruppenspielen waren nicht der Rede wert: Ausgerechnet
die ihm eigene Souveränität schien ihm abhanden gekommen zu sein. Lag es am
Alter? An fehlender Spielpraxis? Gegen Portugal strafte Lehmann alle
seine Kritiker Lügen. Um es vorweg zu nehmen: Er machte ein großartiges Spiel.
Torhüter (auch Lehmann, man mag es nicht glauben) sind sensible Wesen
auf dem Platz. Die erste Aktion im Spiel kann über den weiteren Verlauf der
Partie entscheiden. Lehmann deutete gleich mit seiner ersten Szene an,
mit welcher Urgewalt und gleichzeitiger Eleganz er an diesem Abend in Basel
seinen Job verrichten würde: Eine scharfe Flanke von Simao, dem wendigen Dribbler,
pflückte der Neuzugang des VfB Stuttgarts mit einer Leichtigkeit und Präzision
aus der Luft, als würde der Kirschen aus Nachbars Garten klauen. Lehmanns
Präsenz war bis vor die Bildschirme in Deutschland spürbar. Seine Defensive
(Viererkette plus die neue Doppelsechs Hitzlsperger/Rolfes) funktionierte, weil
Lehmanns Autorität im deutschen Tor in diesen ersten Minuten zurückgekehrt war.
Ganz große Kunst war seine Abwehr gegen den Versuch von Christiano Ronaldo
(40.). Von dessen energetischer Dynamik ließ sich Lehmann nicht beirren und
blieb lange stehen, ehe er mit einem schnellen Reflex den Schuss abwehren konnte.
Zu seinem Pech hatte Nuno Gomes auf diesen Abpraller gelauert, wie es
gute Mittelstürmer nun einmal tun, und an Metzelders Bein vorbei traf
der Portugiese zum 1:2 vor der Pause. Lehmann blieb auch in der zweiten
Halbzeit ein Fixpunkt in der großartig organisierten Defensivformation.
Wer wollte, konnte allein in der Aufstellung eine interessante Beobachtung
machen: Die nationalen Leitwölfe Lehmann-Ballack-Klose bildeten eine
markante Linie in der Mitte des Feldes, verstärkt wurde das erfahrene Trio durch
die Organisationstalente Hitzlsperger und Rolfes. An diesem Fünfer-Stamm
orientierte sich das deutsche Spiel, Sprinter und Dribbler, wie Podolski
oder Schweinsteiger wurde bei ihren Tempoausflügen der Rücken freigehalten,
selbst der bislang nicht unbedingt durch frische Offensivaktionen auffällige
Metzelder stürmte mehrfach abgesichert in die freien Schnittstellen der
portugiesischen Defensive. Selbst an den deutschen Angriffen war Jens Lehmann
häufig beteiligt: Nahezu jeder Abstoß und Abwurf fand einen Gegenspieler, bei
Rückpässen blieb der 37-Jährige cool und beförderte den Ball immer in die sicheren
Zonen.
Ganz anders sein Kollege Ricardo. Bei allen drei Turnieren (1xWM, 2xEM)
verursachte der Torhüter von Betis Sevilla nicht ein Gegentor durch einen individuellen
Fehler. Vielmehr ist es diese fehlende Autorität und Souveränität, die Ricardo
nicht zu einem Torsteher qualifiziert, der ein Spiel mitentscheiden kann. Beim
dritten Treffer durch Ballack (61.) offenbarten sich seine Schwächen
in einer Szene: Beim scharf angeschnittenen Freistoß durch Schweinsteiger machte
Ricardo zunächst einen Schritt nach vorne, dann wieder zurück, um sich schließlich
doch noch zu entschließen, die Flanke abzufangen. Sein Versuch: Ein Witz. Michael
Ballack, einer der besten Kopfballspieler der Welt, sagte Danke und köpfelte
zum entscheidenden 3:1 ins Tor.
Das sagt torwart.de-Experte
Lars Leese
...über
Jens Lehmann
„Lehmann hat von A bis Z eine solide Leistung geboten,
auch wenn er keine Mega-Paraden zeigen musste. Mal abgesehen von dem Reflex
gegen Christiano Ronaldo vor dem 2:1 der Portugiesen. Das ist leider
etwas untergegangen in der Berichterstattung, aber die Aktion war stilbildend
für Lehmanns Aktionen. Er hat eine extreme Ruhe und Sicherheit ausgestrahlt,
eine rundum gelungene Leistung. Lehmann hat sich im Turnier von Spiel
zu Spiel gesteigert. Gegen Polen und Kroatien war sein Auftreten noch
etwas holprig. Gegen Österreich war er bereits ein Rückhalt, gegen Portugal
war er das, was man von ihm erwartet: Ein ganz wichtiger Rückhalt, eine
Stütze in der Mannschaft. Das war es ja, was ihn, neben seinem Talent,
für den Platz im deutschen Tor qualifizierte: Seine Erfahrung, Routine
und Sicherheit. Auch von der Körpersprache her haben wir im Viertelfinale
einen anderen Lehmann gesehen, als in den Spielen zuvor. Das ist der Lehmann,
den wir brauchen. Seine Mitspieler haben das auch gemerkt. Metzelder zum
Beispiel war eher teilaktiv in der Defensive, vielleicht hat er gedacht,
dass er nur die flachen Bälle abwehren muss, die hohen Dinger hat ja der
Jens gepflückt! Lehmanns Leistung sollte allerdings nicht klein geredet
werden, er hat einfach klasse gespielt. Wie viel Druck auf ihm gelastet
hat, bzw. lastet, hat man der Reaktion seiner Frau gesehen: Die ist nach
dem Spiel einfach ohnmächtig geworden. Aus meiner aktiven Zeit weiß ich,
dass die Lebenspartnerin wie ein Spiegel des Spielers ist. Ich habe meiner
Frau auch immer alles erzählt, sie hat um meine Sorgen und Ängste gewusst.
Das wird bei den Lehmanns nicht anders sein. Das zeigt wieder, wie sehr
das Torwartspiel eine Sache des Kopfes ist. Und Lehmann beweist, dass
er extrem druckresistent ist.“
...über Ricardo
„Ja, es stimmt. Ricardo hat bei seinen drei Turnierteilnahmen
noch kein Tor direkt verschuldet. Aber: nur halbwegs konstante Leistungen
zu zeigen, reicht vielleicht, um ins Achtel- oder Viertelfinale einzuziehen.
Zu mehr allerdings nicht. Ricardo kann für Portugal keine Spiele gewinnen.
Um den Titel zu holen, muss auch der Torhüter fast über seinen Möglichkeiten
spielen. Bestes Beispiel dafür ist Nikopolidis. Der hat 2004 so
gut, wie nie wieder gespielt. Ricardo war auch gegen Deutschland Durchschnitt.
Bei den Kopfbällen von Klose und Ballack trifft ihn meiner Meinung nach
allerdings keine Schuld. Diese scharf zum Tor hin angeschnittenen Freistöße,
wie sie Bastian Schweinsteiger produziert hat, sind für einen Torhüter
unglaublich schwer zu berechnen. Wie weit fliegt der Ball? Komme ich überhaupt
dran? Springt irgendwer dazwischen? Als Trainer fordere ich meine Spieler
auch immer dazu auch den Ball zum Tor hin zu schießen, weil ich aus eigener
Erfahrung weiß, wie gefährlich solche Bälle sind."
...über bisherige Überraschungen im Tor
„Der russische Torwart Akinfeev hat mich schwer
beeindruckt. Vor allem gegen Schweden war seine Ausstrahlung enorm. Mit
seinen 22 Jahren ist er der jüngste Stammtorwart des Turniers und scheint
bereits jetzt, über eine große Routine zu verfügen. Beeindruckend. Der
tragische Held ist natürlich Petr Cech. Der hat eigentlich ein
tolles Turnier gespielt und dann rutscht ihm dieser Ball aus den Händen.
Ich bin mir allerdings sicher, dass ihn das nicht aus der Bahn wirft.
Portugal:
Ricardo - Bosingwa, Pepe, Ricardo Carvalho, Paulo Ferreira - Petit -
Joao Moutinho, Deco - Simao, Cristiano Ronaldo, Nuno Gomes