Lehmann trotzt der Kritik – Boruc lässt Klasse aufblitzen
von Alex Raack
Man kann es sich regelrecht vorstellen, wie vor dem Spiel Deutschland gegen
Polen die ZDF-Konferenz einig-freudig die Hände schüttelt und dabei beschließt,
den Fokus der Berichterstattung auf Jens Lehmann, den zuletzt oft kritisierten
Torhüter der deutschen Nationalmannschaft, zu lenken. Also kommentierte TV-Mann
Belá Rethy stoisch jede einzelne Aktion des 38-jährigen und listete minutiös
angebliche Fehler auf. Der unbedachte Zuschauer wollte Rethy fast glauben, als
er eine „gewisse Unsicherheit“ bei Lehmann erkannt hatte, ganz genau hingeschaut
machte der neue Stuttgart-Schlussmann eine souveräne Partie. Zwar fasste Lehmann
bei einer Flanke am Ball vorbei, doch der baumlange Mertesacker hatte ihn dabei
behindert. Erst nach einer guten Viertelstunde bekam Lehmann die Möglichkeit
mit einer gradlinigen Aktion Ruhe in sein Torwartspiel zu bekommen: einen Rückpass
bolzte der Keeper mit so viel Wucht nach vorne, dass man hätte meinen können,
das neuartige Spielgerät würde direkt im Wörthersee landen. Das Tor durch Podolski
(20.) ließ auch Lehmann spürbar erleichtern, fortan hatte auch Rethy nur noch
brühwarme Worte für den deutschen Torwart übrig.
Artur Boruc, der immer etwas wild aussehende Torsteher bei den Polen,
war gegen Podolskis Abstauber nach schöner Vorarbeit von Klose machtlos und
musste anschließend ein undankbares Spiel über sich ergehen lassen. Im Gegensatz
zu Lehmann, den die gegnerischen Verteidiger vor allem in Halbzeit zwei mehr
als einmal prüften, blieb Boruc weitestgehend beschäftigungslos. Nur einmal
musste er sein Können demonstrieren: Michael Ballack hatte in der 69. Minute
einen Schuss aus zehn Metern abgefeuert, Boruc parierte mit einer famosen Parade
und verhinderte das zweite Tor. Nur drei Minuten später war der Mann von Celtic
Glasgow allerdings erneut geschlagen, Podolski war per Zufall in eine günstige
Schussposition gerückt und schepperte den Plastikball in den linken oberen Winkel.
Nach dem Schlusspfiff gehörte auch Jens Lehmann zu den Gewinnern einer
siegreichen deutschen Elf. Fünf gefährliche Schüsse auf sein Tor zählte die
so objektiv wie möglich beobachtende torwart.de-Redaktion. Fünf Schüsse, die
Lehmann so gut, wie eben möglich, entschärfte. Der hielt den Ball, den er im
Vorfeld so arg kritisiert hatte, einfach fest. Auch sein Trainer hatte einen
starken Auftritt des Schlussmanns gesehen. „Jens hat sehr souverän gespielt“,
resümierte der Bundestrainer trocken. Etwas anderes hatte der Trainerstab auch
nicht erwartet.
Das sagt torwart.de-Experte
Lars Leese
„Ich
sehe die Aussagen der Medien, in diesem Fall die des TV-Kommentators,
in Bezug auf Jens Lehmann kritisch. Man sollte nicht anfangen Erbsen zu
zählen. Klar, am Anfang gab es diese Torraumszene, doch: er war da und
hat den Ball nicht rein gelassen! Bei der Szene mit Mertesacker hat man
gespürt: Lehmann will gleich was zeigen, ein Zeichen setzen. Als Torhüter
hat man keinen Katalysator, da will man gleich eine Aktion haben, in der
man den ersten Druck ablassen kann. Sonst wäre er auch gar nicht bei dieser
Szene aus dem Tor gekommen. Ich betone es immer wieder, wir haben auf
der Torhüterposition in Deutschland kein Problem. Lehmann war präsent
und souverän. Doch sollten auch wir von außen, insbesondere die Medien,
jetzt alle an einem Strang ziehen. Die Spieler auf diesem Niveau lesen
auch Zeitungen, haben Internetzugang. Die wissen, was über sie geschrieben
wird und spüren den öffentlichen Druck.
Auch Artur Boruc hat ein starkes Spiel gemacht, auf mich hat
er einen guten Eindruck hinterlassen. Seine Parade gegen Ballacks Schuss
war natürlich Weltklasse. Überhaupt habe ich bei dieser EM bislang nur
gute Leistungen der Torhüter gesehen. Lediglich Portugals Ricardo ist
ein Wackelkandidat. Dem fehlt offenbar das Prestige im eigenen Team, nicht
selten wurde er von den Gegenspielern angeschnauzt. Man darf gespannt
sein!