„Die mentale Stärke“, sagt torwart.de-Experte Lars Leese, „ist für einen
Torhüter das Wichtigste bei einem Turnier.“ Am Mittwoch-Abend mussten die Torhüter
Diego Benaglio (Schweiz) und Volkan Demirel (Türkei) mentale Schwerstarbeit
leisten, es war auch ein Duell der Konzentrationsfähigkeit. Nicht nur, dass
es in dieser zweiten Gruppenpartie für beide Mannschaften bereits um alles oder
nichts ging; zu Beginn der Partie setzte plötzlich heftiger Regen ein, der innerhalb
von wenigen Minuten den Rasenplatz im Basler Stadion komplett unter Wasser setzte.
Schnell wurden die Bilder der legendären „Wasserschlacht von Frankfurt“ bei
der WM 1974 bemüht und der Vergleich hinkte nicht. Der offenbar schwimmfähige
„Europass“-Spielball blieb bei flachen Kurzpässen einfach liegen, Aufsetzer
sprangen meterweit vom Ziel entfernt weg und Grätschen wurden zu echten Rutschpartien.
Für die Torhüter ein unglaublich schwieriges Terrain, wie sich bereits einige
Minuten nach den ersten Regentropfen zeigte, als der türkische Verteidigerklotz
Servet seinen Keeper Volkan mit einem Rückpass bedienen wollte und der
aufmerksame Schlussmann den im Boden hängen gebliebenen Ball gerade noch erwischen
konnte. Überhaupt Volkan: Der Türke ist auch in seinem Heimatland nicht
unumstritten, nicht selten fiel er in der jüngeren Vergangenheit durch grobe
Patzer auf, gerade bei den Torhüter-Basics (Fangen, Springen, Werfen) schien
es ihm an der vollständigen Ausbildung zu mangeln. Doch der Torsteher von Fenerbahce
Istanbul hat innerhalb des vergangenen Jahres einen großen Sprung gemacht. Gegen
die Schweiz bestach der bullige Keeper mit exzellenter Torwarttechnik, er blieb
stets sicher und souverän, seiner Defensive gab die gute Vorstellung von Volkan
deutlich spürbar Halt und Sicherheit. Den ersten wirklichen Torversuch von Inler
(19.) begrub Volkan im Nachfassen unter sich. In der 32. Minute offenbarte der
26-Jährige allerdings fehlende Routine: Dem von rechts in den Strafraum dringenden
Derdiyok warf sich Volkan zu früh vor die Füße, dessen präziser Querpass erreichte
Yakin, der nur noch einzuschieben brauchte.
Diego Benaglio hatte bis zur Pause einen vergleichsweise ruhigen Abend
verlebt, erst nach dem Wechsel stand auch der Wolfsburger deutlicher im Fokus,
spätestens in der 57. Minute, als er beim Kopfball von Semih zwar noch die Hand
an den Ball bekam, das glitschige Spielgerät jedoch passieren lassen musste.
Eine unglückliche Szene. Im weiteren Spielverlauf überzeugte Benaglio
mit seinen Qualitäten, allen voran der Fähigkeit schwierige Flankenbälle elegant
und extrem sicher abzufangen. Die Partie hatte sich längst zu einem Krimi entwickelt,
nur ein Sieg konnte den im ersten Spiel jeweils unterlegenen Mannschaften weiterhelfen.
Dann die beiden Schlüsselszenen des Spiels. In der 84. Spielminute stürmten
fünf schweizer Spieler auf einen Türken zu. Den sehr schwer zu haltenden
flachen Schuss von Yakin gegen die Laufrichtung hielt Volkan bravourös.
Vier Minuten Nachspielzeit waren noch zu spielen, zwei Minuten vor dem Schlusspfiff
schnappte sich Arda den Ball, konterte schnell und präzise, sein heftiger Schuss
streifte den Oberschenkel eines schweizerischen Verteidigers und flog unhaltbar
über Benaglio hinweg ins Tor. Die Schweiz war in der Gruppenphase
ausgeschieden - als Gastgeber. Das gelang bislang nur den Belgiern bei der Euro
2000. Volkan und seine heißblütigen Türken stehen jetzt in einem echten
Endspiel um den Einzug ins Viertelfinale gegen die Tschechen.