Es war eine lange Sommernacht im September 2006: Aldo Junior Simoncini, 20-jähriger Wirtschaftsstudent und nebenbei Nationaltorwart von San Marino, debütierte im Tor des Kleinststaates. Der Gegner in diesem Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft war niemand geringeres die DFB-Elf. Simoncini gab sein Bestes und erlangte an diesem Abend internationale Bekanntheit für einen nicht wirklich schmeichelhaften Rekord – 0:13 lautete das Ergebnis nach einseitigen 90 Minuten. TORWART traf Aldo damals zu einem Gespräch in San Marino. Heute, 10 Jahre später, launcht torwart.de noch einmal das Interview vor dem Deutschland Spiel.
torwart.de: Aldo, um die Bedeutung dieses Spiels für dich erklären zu können, sollten wir unseren Fokus zunächst auf einen weiter zurück liegenden Abend richten, richtig? Willst du uns darüber berichten?
Aldo Junior Simoncini: Es war im Dezember 2005. Ich spielte damals für Riccione in der Serie D (vierte italienische Liga). Auf dem Heimweg nach einem Auswärtsspiel fiel ich in einen Sekundenschlaf und verlor die Kontrolle über mein Auto. Ich fuhr ungebremst gegen einen Baum.
Ich lag danach zwei Wochen auf der Intensivstation. Mein Hüftgürtel und mein linker Ellenbogen waren total zerstört, weshalb ich mich mehrerer Operationen unterziehen musste in denen die Knochen mit Hilfe von Metallplatten fixiert wurden. Im Anschluss dessen war ich für viereinhalb endlose Monate ans Bett gefesselt. Es ist wohl unnötig zu erwähnen, aber das war die größte Herausforderung die mir das Leben stellen konnte. Ich hatte das Schlimmste überstanden, dennoch wusste ich nicht ob ich jemals wieder in der Lage wäre Fußball zu spielen. Jeder kleine Schritt vorwärts zu meiner “Auferstehung” war extrem schwierig und bewegend. Auch der erste Versuch von meinem Bett in den Rollstuhl zu gelangen wurde zu einem traumatischen Erlebnis: Ich konnte mich nicht einmal wenige Meter bewegen ohne unerträgliche Kopfschmerzen zu bekommen. Man kann sich sicherlich vorstellen wie froh ich war als ich wieder mit dem Gehen und Laufen beginnen konnte.
Bis zum Summer war ich auf intensive Rehabilitationsmaßnahmen im Schwimmbecken und im Kraftraum angewiesen um die zehn Kilogramm Muskeln zurück zugewinnen die ich nach meinem Unfall verloren hatte. Aber erst als ich damit anfing mich auf eine Matte und später auf den Rasen fallen zu lassen und sah, dass mein Ellenbogen hielt, realisierte ich, dass ich wohl wieder Fußball spielen könnte.
torwart.de: Das EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland war also so etwas wie dein Comeback im Tor? Das muss ja der Wahnsinn gewesen sein!
Aldo Junior Simoncini: Im Sommer fing ich wieder mit dem Training bei San Marino Calcio, einem Team aus der Serie C1 (dritte italienische Liga), an. Ich bin dort nur Ersatztorwart und deshalb war das Spiel gegen Deutschland mein erster offizieller Einsatz nach dem Unfall und gleichzeitig mein Debüt im Nationalteam. Ehrlich gesagt war meine Kondition noch weit vom Optimum entfernt und deshalb muss ich Mr. Mazza (Trainer der Nationalmannschaft von San Marino die Red.) dafür danken, dass er mir die Chance gegeben hat diesen Traum für mich wahr zu machen. Ich hätte bei meinem Unfall durchaus sterben oder Langzeitschäden erleiden können und wäre somit nie wieder in der Lage gewesen Fußball zu spielen. Ich habe es danach riskiert alles zu verliere, doch es zahlte sich alles aus. Und das Spiel gegen Deutschland war ein TRAUM für mich, buchstäblich.
torwart.de: Ist es nicht verrückt mit einem Team aus Semiprofessionellen und Amateuren gegen einen Fußballgiganten wie Deutschland zu spielen?
Aldo Junior Simoncini: Absolut. Es gibt neben mir nur wenige Spieler im Team, die in der dritten italienischen Liga spielen, welche noch als professionell gilt. Alle anderen arbeiten tagsüber und trainieren nur abends. Doch wir sind alle stolz unser Land zu repräsentieren, die älteste noch existierende Republik der Welt und das kleinste Land Europas mit einer Fußballnationalmannschaft (30.000 Einwohner, 60 km² Fläche).
torwart.de: Hast du erwartet, dass die Deutschen das Spiel gegen euch etwas lockerer angehen lassen?
Aldo Junior Simoncini: Nein, absolut nicht. Wir haben gar nichts erwartet. Natürlich waren wir überrascht, dass das deutsche Team mit den elf besten Spielern angetreten ist und neunzig Minuten Druck auf das Tor ausübte. Normalerweise ist das anders, wenn große Teams gegen uns antreten. Für mich sah es so aus als wollten die deutschen Spieler sich für die Niederlage gegen Italien revanchieren. Doch wir haben mit denen nichts zu tun, wir sind nur von ihnen umgeben (scherzt).
torwart.de: Warum habt ihr protestiert als Jens Lehmann den Elfmeter in der 90. Minute gegen euch schießen wollte?
Aldo Junior Simoncini: Wir waren einfach der Meinung, dass dies nicht sehr respektvoll gewesen wäre. Ich verstehe, dass das Spiel für die Deutschen wie ein lockeres Training war und dass auch Lehmann seinen Spaß haben wollte. Aber für uns war das Spiel ernsthafter und unsere Sichtweise wurde von den deutschen Spielern sofort verstanden.
torwart.de: Hast du ein paar Worte mit Jens Lehmann wechseln können?
Aldo Junior Simoncini: Ja, nach dem Spiel fragte er mich nach meinem Alter und sagte mir, dass ich weiterhin hart arbeiten solle. Er war sehr nett und ich bekam natürlich auch sein Trikot.
torwart.de: Welcher Spieler des deutschen Teams hat dich am meisten beeindruckt?
Aldo Junior Simoncini: Die Klasse von Ballack, Klose und Podolski war keine Überraschung für mich. Am meisten beeindruckt hat mich jedoch David Odonkor: Körperlich ist er monströs.
torwart.de: Die deutsche Presse reagierte sehr überrascht als du preisgabst, dass du mit Tennisbällen trainiert hast. War das ein Spezialtraining?
Aldo Junior Simoncini: Nicht wirklich. Ich trainiere gelegentlich mit Tennisbällen um meine Reflexe und mein Timing zu verbessern. Es ist keine Erfindung aus San Marino, deshalb war ich sehr überrascht als ich mitbekommen habe, dass die Deutschen noch nichts davon gehört hatten. Es ist eine sehr gängige Trainingsmethode in ganz Italien.
torwart.de: Was glaubst du, wie sehr könnte sich San Marino in der Zukunft verbessern?
Aldo Junior Simoncini: Natürlich haben wir Chancen uns zu verbessern, obwohl diese immer limitiert sein werden aufgrund unserer Größe. Die Qualifikation für die Europa- oder Weltmeisterschaft ist pure Utopie, aber wenn es mehr junge Spieler in die Profiligen schaffen, könnten wir zumindest unsere Teilnahme an den Qualifikationengruppen ehrenvoller gestalten. Die Sportstrukturen in San Marino entwickeln sich ebenfalls, auch das könnte helfen.
torwart.de: Dein Zwillingsbruder Davide spielt als Abwehrspieler mit dir zusammen in der Nationalmannschaft. Wie fühlt es sich an diese Erfahrung mit ihm zu teilen?
Aldo Junior Simoncini: Es ist aufregend mein Land mit meinem Bruder zu repräsentieren und wir sind sehr stolz darauf. Im Spiel gegen Deutschland haben wir das erste Mal seit vielen Jahren zusammen gespielt und es gibt wohl keine bessere Gelegenheit sich zu treffen als auf dem Platz. Es war sehr schön einen für mich so wichtigen Tag mit ihm zu teilen.
torwart.de: Wie sind deine Anfänge im Tor?
Aldo Junior Simoncini: Ich kann nicht wirklich sagen wie ich angefangen habe, es fühlt sich an als ob ich im Tor geboren wäre. Viele Torwarte fingen auf anderen Positionen an, sogar eine Berühmtheit wie Buffon. Von Anfang an war die Rolle des Torwarts die attraktivste für mich, obwohl es meiner Meinung nach die anspruchsvollste Position ist. Ich denke, dass eine gute Parade nicht nur die Verhinderung eines Tores ist, sondern genauso ästhetisch sein kann wie ein geschossenes Tor.
torwart.de: Erzähle uns zum Abschluss über deine Ziele in der Zukunft und die Erwartungen an deine Karriere!
Aldo Junior Simoncini: Dieses Jahr ist nur ein Übergang für mich. Ich bin sehr glücklich, dass ich regelmäßig trainieren kann und dass mein Körper darauf positiv antwortet. Es geht mir als Reservetorwart gut bei San Marino Calcio, aber nächstes Jahr möchte ich die Nummer 1 sein.
Auf lange Sicht möchte ich das Maximum erreichen: die Serie A!
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