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"Die beste Position der Welt" - Tobias Klöppner Kolume I

Protokoll: Alex Raack

Auf jeden Manuel Neuer kommt ein Tobias Klöppner. Mindestens. Torhüter, die schon früh wussten, dass Torhüter-Sein mehr ist als nur eine Position beim Fußball inne haben. Torwart ist man oder eben nicht. Klöppner war nie Profi, aber kurz davor. Er hielt Bälle für Geld, doch eigentlich weil er nie vom Fußball wegkam. Hier erzählt er seine Geschichte.

Mein Name ist Tobias Klöppner. Ich bin 39 Jahre alt. Und ich bin Torwart. Ok, ich war mal einer. Aber bleibt man das nicht sein Leben lang?

Ihr kennt mich vermutlich nicht. Ich war nie Profi. Aber ich war ganz nah dran. Mein Konkurrent in der Jugend wurde später Torwart der deutschen Nationalmannschaft. Sie sagten, ich hätte es auch nach ganz oben schaffen können. Aber es hat nicht gereicht, ich verletzte mich zum falschen Zeitpunkt und der Karrierezug fuhr ab, während ich am Gleis stehen blieb. Das war hart. Aber hat mich nicht umgehauen. Im Gegenteil. Ich wurde trotzdem Torwart, wenn auch nicht ganz oben. Heute bin ich es immer noch mit voller Leidenschaft. Für mich ist es die beste Position, die es beim Fußball geben kann. Heute bin ich ein sehr glücklicher Mann.

Ich wette, es gibt viele hier, die eine ähnliche Geschichte haben. Oder die eine Geschichte wie die meine schon mal irgendwo gehört haben. Stellvertretend für all die würde ich gerne meine Geschichte ein wenig ausführlicher berichten. Nicht, weil sie so einzigartig ist. Aber vielleicht können sich ja viele Leser mit meiner Geschichte identifizieren. Und teilen meine Liebe für das Dasein als Torwart.

Ich beginne da, wo es immer anfängt: als kleiner Junge vor der Glotze. Gehen nicht so die meisten Fußball-Geschichten los? Wie man vor dem Fernseher einen Verein sieht und sich sagt: da will ich mal spiele? Oder einem Fußballer zuschaut und sich sagt: genau so will ich mal werden?

Als Kind wollte ich werden wir Toni Schumacher oder Uli Stein. Das waren Torhüter, die vor nichts und niemanden Angst zu haben schienen. Sie warfen sich ohne Rücksicht auf Verluste in die Körper der besten Fußballer der Welt und riskierten selbst ihre Gesundheit, um ein Tor zu verhindern. So bekloppt wollte ich auch werden.

Vor allem bei Schumacher bewunderte ich, dass er immer sagte, was er dachte. Und sein Ding durchzog, selbst wenn ihn alle dafür hassten. Nur war ich kein Nationalspieler, sondern Schüler und noch sehr grün hinter den Ohren. Wenn ich den Lehrern die Meinung geigte bekam ich dafür kein Geld, sondern Ärger. Der Zusammenprall mit Battiston 1982 hat sich bei mir für immer eingebrannt. Ich war damals noch ein Kind und verstand die politische Tragweite seines Verhaltens nicht, ich dachte nur: er ist eben volles Risiko gegangen. Die typische Torwartsituation: der Stürmer läuft im vollen Tempo auf dich zu, irgendwo dazwischen ist der Ball. Zwei durchtrainierte Körper, die gleich aufeinander prallen. Wer möchtest du sein in diesem Duell? Der Sieger oder der Verlierer? Schumacher sagt heute, dass er sich vielleicht anders verhalten hätte, wenn er damals einen guten Berater gehabt hätte. Aber auf dem Platz hat man keinen Berater, niemanden, der auf einen aufpasst oder die richtige Richtung weist. Das musst du selbst entscheiden.

Als ich 29 war und noch in der Verbandsliga spielte, hatte ich eine ähnliche Situation wie damals der Tünn. Ich war gerader erst zu diesem Verein gewechselt, es war mein erstes Spiel und ich wollte den Leuten zeigen, was ich drauf hatte. In der 60. Minute flog der Ball auf mich zu, ein gegnerischer Stürmer wollte ihn unbedingt erreichen. Ich flog aus meinem Kasten und dachte: der knallt dir gleich mit voller Wucht seine Stollen in den Brustkorb. Wir knallten ineinander. Stille. Ich lag auf dem Boden, den Ball in meinen Händen und wusste nicht, ob ich verletzt war. Ich rappelte mich auf, alles war noch dran. Mein Gegner lag schreiend auf dem Boden. Er hatte sich bei der Aktion das Schienbein gebrochen. Was willst du lieber sein? Sieger oder Verlierer?

Ich wollte immer gewinnen. Und gewinnen heißt für einen Torwart schon: wenn er kein Tor kassiert. Ein 0:0 kann ein großer Triumph sein. Wenn man Torhüter ist. Als junger Kerl hatte ich zwar Talent, aber ich gehörte nur deshalb zu den besten Torhütern Hessens, weil ich immer an meine Grenzen ging. Vor dem Training. Beim Training. Nach dem Training. Und natürlich beim Spiel. In der B-Jugend schaffte ich es in die Hessenauswahl und wenn ich fit war, dann spielte ich auch. Im jüngeren Jahrgang stand ein junger blonder Bursche im Tor, dem der liebe Fußball-Gott viel mehr Talent in die Wiege gelegt hatte, als mir. Gemeinsam mit Timo Hildebrand und dem ein Jahr älteren Sven Schmitt trainierte ich zwei Jahre lang jeden Montag im DFB-Stützpunkt zusammen.

Ich war trotzdem stolz auf meine bisherige Laufbahn, ich hatte mir den Erfolg hart erarbeitet. Und nicht nur ich: ich spielte bei Hessen Kassel in der höchsten Jugendspielklasse, das war 50 Kilometer von meinem Wohnort entfernt, dreimal die Woche fuhr mich meine Mutter zum Training, einmal die Woche zum Auswahltraining nach Grünberg, das war sogar 150 Kilometer entfernt. Meine Eltern haben viel geopfert, damit ihr Sohn so Fußball spielen konnte. Viel Geld hatten wir nicht, die Vereine zahlten damals noch kein Geld oder mal für neue Handschuhe, ich musste mir meine Torwartausrüstung selbst finanzieren. Wenn ich später bei den Senioren mit völlig abgespielten Handschuhen im Tor stand, bei denen die Fingerkuppen oben rausschauten, dann lachten die Leute, aber ich wusste ja ganz genau, was die wert gewesen waren.

Ich lernte früh, dass es im Fußball nicht nur auf Talent oder Einsatzbereitschaft ankommt, sondern auch, wer dich fördert oder eben nicht. Unser Hessenauswahltrainer war damals Reinhold Fanz, meiner Ansicht nach der denkbar ungeeignetste Mann, wenn es darum geht, jungen Menschen die Freude am Fußball zu vermitteln. Als wir mal wieder aneinander gerieten und er mich fragte, ob ich denn gut genug sei für diese Mannschaft, sagte ich ihm: „Dann kommen sie doch mal zur Abwechslung nach Nordhessen und schauen sich ein Spiel von mir an.“ Von da an wurde ich nicht mehr eingeladen. Hildebrand verhielt sich da schlauer, jedenfalls aus der damaligen Perspektive. Er war ein toller Torwart. Aber er wusste sich auch außerhalb des Spielfelds sehr gut zu verkaufen. Das hat ihm in seiner Laufbahn sicherlich mehr geholfen als geschadet.

Im Januar 1996 war ich noch 18 und nominell in der A-Jugend, stand allerdings auch im Kader der 1. Herren, die in der Regionalliga spielte. Kurz vor meinem Debüt für die Senioren, brach ich mir bei einem Hallenturnier mit der A-Jugend das Schienbein. Als ich im August 1996 wieder gesund war, versank Hessen Kassel gerade im Chaos, die Trainer der ersten und zweiten Mannschaft waren ausgetauscht worden, Geld war nicht vorhanden, der Verein kurz vor dem Konkurs. Und niemand schien mich mehr zu kennen, ich war ein Niemand. Ich wechselte zum TSV Battenberg, die spielten damals in der vierten Liga. Aber ich kam lediglich in der dritten Mannschaft zum Einsatz. B-Klasse. Ganz unten. Etwa ein Jahr nach meiner Verletzung spielte Juventus Turin in einem Freundschaftsspiel gegen Eintracht Frankfurt. Im Frankfurter Tor: mein alter Weggefährte Sven Schmitt. Während ich Stunden zuvor das Tor in der B-Klasse gehütet hatte. Fußball kann manchmal komisch sein.

Ich wusste, dass ich den Sprung nach ganz oben verpasst hatte. Ich wusste aber auch, dass ich weiterhin Torwart sein wollte. Also blieb ich es. In den Jahren danach habe ich festgestellt, dass es vielleicht gar nicht so schlimm war, nicht Profi zu werden. Ich inzwischen sehr desillusioniert, was den Profi-Fußball betrifft. Dafür habe ich zu viele negative Geschichten gehört von Menschen, die mal ganz oben waren. Wie Norbert Nachwteih, der aus der DDR flüchtete, bei den Bayern spielte und einer der besten Liberos seiner Zeit war. Am Ende seiner großen Laufbahn stand er in einem gegnerischen Kader, nach dem Spiel sprach ihn an und lernte ihn ein wenig kennen. Ebenso wie Weltmeister Uwe Bein, der seine großem Laufbahn in der vierten Liga beim VfB Gießen ausklingen ließ und deshalb mit mir auf einem Rasen stand. Die Geschichte von Uli Borowka, der Alkoholiker war und dessen Krankheit geduldet oder vielleicht sogar verschlimmert wurde, damit er als Fußballer funktionierte, habe ich aufgesogen, als Trainer lese ich manchmal meinen Spielern aus seinem Buch vor.

Nein, ich bereue es nicht. Ich hatte auch so meinen Spaß und verrückte Geschichten, die vielleicht nur erlebt, wer selbst Torwart ist. Die erzähle ich gerne ein andermal.


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