torwart.de: Herr Rost, Sie sind seit 17 Jahren im Geschäft. Hat sich Ihr Gefühl für Drucksituationen im Laufe der Zeit verändert?
Frank Rost: Heute ist mir nur noch eines wichtig: Dass ich morgens in den Spiegel gucken kann. Was berichtet wird, interessiert mich wenig. Für einen jüngeren Menschen ist es sicherlich nicht leicht, die Erfahrungen, die er im Fußballgeschäft sammelt, richtig einzuordnen – vor allem die Schulterklopfer, die dich, wenn es mal schlecht läuft, als Allererste fallen lassen. Ich hatte das Glück, bei einem relativ unaufgeregten Verein wie Werder Bremen meine Karriere zu beginnen, an der Seite des erfahrenen Trainers Otto Rehhagel. Und anders als heute ging es damals noch nicht um dermaßen viel Geld. Auch die Medienaufmerksamkeit war noch nicht so hoch.
torwart.de: Die Medien neigen zu Dramatisierung. Entspricht das Bild, das ein Fan von Drucksituationen hat, der Realität?
Frank Rost: Die Journalisten müssen keine Spiele gewinnen, sie müssen Zeitungen verkaufen. Insofern spielt jeder sein eigenes Spiel.
torwart.de: Wie schirmen Sie sich heute vom Rummel ab?
Frank Rost: Ich trenne mein Privat- strikt von meinem Berufsleben. Das ist mein Heiligtum, meine Trutzburg. My home is my castle, wie es so schön heißt. Ich habe da viel von Michael Schumacher gelernt. Homestorys, Gala-Auftritte oder dergleichen sind mit mir nicht zu machen. Zu Hause bin ich nur Frank Rost, der Privatmensch, egal ob es im Beruf gerade gut oder schlecht läuft.
torwart.de: Wie holt Ihre Familie Sie zurück auf den Teppich, wenn Sie gerade den entscheidenden Elfmeter gehalten haben?
Frank Rost: Es hilft schon, wenn meine Frau sagt: »Bring mal den Müll raus, Frank!« Das bringt mir eine Besinnung auf die Normalität, jenseits der Scheinwelt des Fußballs.
torwart.de: Heutzutage werden Jugendspieler früh aus ihrem Umfeld gerissen.
Frank Rost: Eine fatale Entwicklung! Das geschieht oft, wenn die Eltern durchdrehen, weil die Klubs mit den Scheinen wedeln. Man sollte ein Kind niemals als Ware sehen. Aber so funktioniert der Markt. Ich werde das nicht ändern können, genauso wenig die Gutmenschen, die das kritisieren. Die Vereine sind gefordert: Sie können nicht einfach nur einen Haufen Geld hinblättern – sie müssen sich auch um die nachhaltige Sozialisation der Jugendspieler kümmern.
torwart.de: Sind solche entwurzelten Jungs besonders anfällig für Druck?
Frank Rost: Sie haben oft nur noch den Fußball, der sie glauben macht, sie seien die Allergrößten. Dabei sind sie noch mitten in der Menschwerdung. Wichtig ist, dass sie wenigstens über Jahre hinweg dieselbe Bezugsperson haben, eine Art Ersatzvater.
torwart.de: Was kann sie außerdem vor dem Fall ins Bodenlose bewahren?
Frank Rost: Eine anständige Schulbildung. Nichts ist schlimmer, als wenn man außerhalb des Fußballs nichts hat. Das macht den Einzelnen auch resistenter gegen den Druck, der im Geschäft herrscht. Auch wenn es mal nicht so gut läuft, weiß er immer noch: Ich bin jemand. Dafür müssen die Jungs aber auch begreifen, dass sie nicht immer nur nehmen können. Sie müssen auch verzichten.
torwart.de: Nach dem Tod von Robert Enke wurde darüber diskutiert, wie man den Druck, der auf den Spielern lastet, verringern könnte.
Frank Rost: Wenn das so einfach wäre! Wir sind doch Leistungssportler. Boris Becker hat mal gesagt: »Wenn alle dem Druck standhalten würde, gäbe es 1000 Wimbledon-Sieger.« Das kann ich nur bestätigen: Nicht alle haben die Nerven, im Spiel auch das zu zeigen, was sie im Training leisten. Dazu braucht man Nerven. Deshalb setzen sich viele Spieler durch, die vielleicht weniger Talent haben, dafür aber die nötige mentale Stabilität.
torwart.de: Haben Sie es erlebt, dass sich ein Trainingsweltmeister in den Katakomben in die Hose machte, als draußen 80.000 Fans brüllten?
Frank Rost: Ja, klar. Aber das ist auch allzu menschlich. Wenn du merkst, dass du was verlieren kannst – sei es deinen Status, deinen Stammplatz, deinen Vertrag –, ist es schwer locker zu bleiben.
torwart.de: Kann man lernen, mit dem Druck umzugehen?
Frank Rost: Die Basis ist ein stabiles Umfeld, das dich als Mensch schätzt und nicht, weil dein Name in der Zeitung steht. Der Rest kommt mit der Erfahrung und der Routine. Heute fällt es mir leichter, mit einer Serie von zwei, drei schlechten Spielen umzugehen, weil ich weiß, dass es irgendwann wieder bergauf geht. Ganz sicher.
torwart.de: Wie schafft man es, eine Abwärtsspirale zu bremsen?
Frank Rost: Das hat viel mit dem Verein zu tun. In Bremen etwa hat man nie Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen, sondern sich auch in Drucksituationen in Ruhe zusammengesetzt. Und du selbst musst dir vor Augen führen: Auch wenn du auf der Bank landest – es ist schlussendlich nur ein Sport.
torwart.de: Uwe Harttgen, früher Profi und heute Direktor der Nachwuchsabteilung von Werder Bremen, sagt, Deutschland müsse lernen, Leistungsschwankungen zu akzeptieren.
Frank Rost: Schön gesagt, ein hohes Ziel. Aber der Umgang damit ist doch ganz einfach: Wenn deine Leistung schwankt, bist du draußen. Es ist ja ein Leistungssport!
torwart.de: Horchen Spieler umso mehr in sich hinein, wenn sie mit Psychologie konfrontiert werden – und werden schließlich übersensibilisiert?
Frank Rost: Eins vorweg: Über sich zu reden, ist immer intim – zumal gegenüber einem Angestellten des Vereins, bei dem man unter Vertrag steht. Wie er damit umgeht, sollte jeder Spieler selbst entscheiden dürfen. Gruppensitzungen sind Mist. Zu Ihrer Frage: Burnout und Depression gab es schon vor 100 Jahren, aber es wurde nicht darüber gesprochen – und dann war's auch schon wieder weg. Jetzt scheinen solche Dinge plötzlich »in« zu sein, und viele horchen in sich hinein und finden dann auch irgendwo ein Körnchen Zweifel. Das ist ein Phänomen des Medienzeitalters, das alles ausschlachtet.
torwart.de: Sind Sie anfällig dafür?
Frank Rost: Für mich gilt immer noch: Nur die Harten kommen in den Garten.
torwart.de: Ist die jüngere Generation verweichlicht?
Frank Rost: Ein Stück weit. Aber wir können nicht jeden retten, nicht jeden nach oben pampern. Du stehst vor Millionen von Zuschauer und musst funktionieren.
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