Vorschau auf das WM-Finale zwischen Argentinien und Frankreich
Autor: T. Rübe - 16.12.2022
Die höchst umstrittene Weltmeisterschaft 2022 ist fast vorüber. 62, der insgesamt 64 Partien wurde bereits absolviert, lediglich das Spiel um Platz und das alles entscheidende Spiel, das Finale liegen noch vor uns. In diesem treffen zwei absolute Großmächte gegenüber, zwei traditionelle Favoriten bei nahezu jedem Turnier. Beide Nationen haben jeweils 2-mal die begehrte Trophäe bisher gewonnen, ab Sonntag wird einer von beiden Kontrahenten den dritten Stern auf das Trikot nähen dürfen – einen Stern für jeden Weltmeistertitel. Sowohl die Südamerikaner als auch die Europäer haben dabei den ersten Titel jeweils im eigenen Land erringen können.
Die Erfolge der Albiceleste liegen schon deutlich länger zurück, denn die beiden Titel wurden 1978 und 1986 gewonnen. Zweifelsohne liegt dem Titelgewinn 1978 vor allem eine politische Kampagne zugrunde. Die Militärjunta regierte Argentinien und international war bekannt, unter welchen Bedingungen die Menschen in Argentinien lebten. Das Turnier sollte wiederum der Welt zeigen, dass es ein offenes und tolerantes Land, das Regime eben keine Diktatur ist. Man kann es lupenreine Propaganda bezeichnen. Letztlich wurde die Trophäe eben nicht nur auf dem Rasen, sondern auch durch das Regime gewannen. Schiedsrichter wurden beeinflusst, auch von FIFA Präsident Joao Havelange, um auch gewisse Spielkonstellationen zu erzeugen, damit die Albiceleste den ersten Weltmeistertitel der Historie gewinnen konnte. 8 Jahre später gab es zwar auch einige Anekdoten und auch gewisse Skandale, doch nicht zu vergleichen mit 1986. Diego Armando Maradonna war der überragende Spieler und auch derjenige, mit dem das ganze Turnier letztlich bis heute in Verbindung gebracht wird.
Bei den Franzosen war es etwas anderes. Dort war der große Spieler 1998 bei der WM im eigenen Land natürlich Zinedine Zidane. Eine ganze Nation spekulierte darüber, inwieweit dieser zweifellos hoch Veranlagte Mittelfeldspieler eine ganze Nation tragen kann und nahezu im Alleingang den Titel gewinnen kann. Er konnte, doch wurde ihm damals auch schon tatkräftig assistiert, unter anderem von Fabien Barthez, der dadurch auch zum Teil seinen Status als Weltklasse-Torhüter herleiten konnte. 2018 waren es andere Vorzeichen für die Équipe Tricolore. Man verfügte über absolute Spitzenmannschaft, auf jeder Position mit Weltklasse-Spielern besetzt, doch fehlte bis dahin der notwendige Erfolg, bei EM zwei Jahre zuvor scheiterte man im Finale mit 0:1 gegen Portugal. Mit etwas Glück und auch sehr viel Disziplin holte man in Russland dann den Titel.
Kapitän der Mannschaft war damals bereits Torwart Hugo Lloris von den Tottenham Hotspurs. In Frankreich selbst auf der Torhüter-Position eine absolute Instanz, doch fehlte ihm damals wie heute international ein wenig die ganz große Reputation. Ein Indiz hierfür ist die Tatsache, dass Lloris selbst mit dem WM-Titel im Rücken 2018 nicht die Wahl zum Welttorhüter gewinnen konnte. Dies wurde Thibaut Courtois unter anderem aufgrund des Gewinns der Champions League. Lloris gilt innerhalb der Équipe Tricolore als absolute Persönlichkeit, doch fehlte ihm auch im Spiel immer eine gewisse Note. Auf der Linie überzeugte Lloris bereits in jungen Jahren, was ihm auch schon früh den Status eines großen Talents gab. Vor allem ab seiner Zeit bei Olympique Lyon wurde Lloris auch international immer bekannter, stand aber zunächst im eigenen Land noch ein wenig im Schatten der etablierten Torhüter um Sebastien Frey, dem damals großen Gregory Coupet und Steve Mandanda. Mandanda wurde wiederum etwas überraschend im hohen Alter noch einmal der Ersatzmann von Lloris zur aktuellen Weltmeisterschaft. Sein Stern sollte dann erst so langsam ab 2008 aufgehen, als er ebenjenen in Lyon ersetzte und in der Nationalmannschaft sich mit Mandanda duellierte.
Über die Jahre hinweg hat sich Lloris im französischen Tor und auch bei den Spurs als unverzichtbar erwiesen, wenngleich seine Stärken und Schwächen über die Jahre hinweg die gleichen geblieben sind. Auf der Linie ist der Torwart nicht nur stark, sondern herausragend, im Spiel mit dem Fuß ist er gut, doch die Strafraumbeherrschung wird nicht mehr zu seinem Steckenpferd, was auch bei dieser WM immer wieder deutlich wurde. Vor allem im Viertelfinale gegen England und gegen Marokko im Halbfinale unterlief er einige Flanken und Hereingaben, die auch mitunter wirklich gefährlich wurden und Lloris mit viel Glück im Nachfassen korrigieren konnte. Doch konnte eben auch sehr häufig auf der Linie seine Mannschaft in den wichtigen, in den entscheidenden Momenten mit teilweise spektakulären Paraden vor Gegentoren bewahren. Sowohl im Viertel- als auch im Halbfinale parierte jeweils Lloris stark und verhinderte damit jeweils den Ausgleich. Die Spiele hätten sonst jeweils noch einmal leicht drehen können, denn Les Blues waren immer wieder in starker Bedrängnis und eben nicht die deutlich bessere Mannschaft. Die Ergebnisse waren dementsprechend knapp, mit 2:1 gegen England und 2:0 gegen Marokko. Lediglich das 3:1 war relativ, auch vom Spielverlauf her, deutlich.
Mit seiner Ausstrahlung ist der Torwart, der in wenigen Tagen seinen 36. Geburtstag feiert, ein wichtiger Bestandteil, eigentlich ein absoluter Fixpunkt der französischen Verteidigung. Die Abwehr orientiert sich am Keeper, vor allem in dem Wissen, dass Lloris in der Lage ist, immer mal einen der sogenannten Unhaltbaren noch zu parieren. Gleichzeitig ist er sehr erfahren. Er ist seit dem Viertelfinale gegen England Rekordnationalspieler seines Landes und wird mit seiner Teilnahme im Finale auch der Torhüter mit den meisten WM-Spielen in der Historie. Mit einem Sieg im Finale gegen Argentinien könnte Lloris seiner Karriere noch einen weiteren großen Titel hinzufügen, wobei sich seine Laufbahn auch langsam dem Ende entgegen neigt. Sein Vertrag bei den Spurs läuft noch bis 2024. Ob er noch über den Sommer 2024 hinaus spielen wird, ist derzeit noch nicht entschieden. Auch hat der 1,88 m große Torwart noch nicht bekannt gegeben, ob das Finale sein letztes Länderspiel sein wird. Vielleicht wird es auch vom Ausgang des Endspiels abhängen.
Anders als Hugo Lloris ist Emiliano Martinez in der Wahrnehmung bei weitem nicht der Fixpunkt seiner Mannschaft und im Besonderen seiner Defensive. Dabei bewies der Torwart von Aston Villa während des Turniers konkret das Gegenteil, denn die Mannschaft der Albiceleste mag in der Offensive mehr oder minder aus Lionel Messi bestehen, in der Defensive ist Martinez während der WM ein enorm wichtiger Faktor gewesen. Wenn man die Spiele vor allem im Hinblick auf die argentinische Defensive analysiert, fällt auf, wie sehr sich ein gestandener Innenverteidiger wie der 34-jährige Routinier Otamendi verhält. Otamendi selbst verfügt über eine beeindruckende Vita, orientiert sich aber immer wieder an Martinez und zieht durch das Spiel des Torwarts Sicherheit. Vor allem bei Standard-Situationen und Flanken ist Martinez sehr wertvoll für die argentinische Mannschaft. Mit seiner Größe von 1,95 m, einem mutigen Herauslaufen und einem sehr guten Timing, fängt er die hohen Hereingaben immer wieder ab und leitet sofort schnelle Gegenstöße mit präzisen Abspielen ein.
Doch nicht nur mit seiner Strafraumbeherrschung fiel Martinez bei dieser Weltmeisterschaft bisher positiv auf. Auch im 1 gegen 1 und auf der Linie konnte der Torwart durchaus schon den einen oder anderen wichtigen Abschluss auf der Linie entschärfen. Besonders in Erinnerung geblieben ist dabei ein Freistoß in der 45. Minute des zweiten Vorrundenspiels gegen Mexiko, als er den Versuch von Vega aus 20 Metern über die Mauer hinweg direkt mit einer Flugparade herunter fing und schnellstmöglich den Gegenangriff einleitete. Auch im Achtel- und Viertelfinale der WM brauchte es Martinez, der entscheidend stark parierte und spätestens im Elfmeterschießen gegen die Niederlande im Viertelfinale zum Matchwinner wurde. Spätestens dort wurde deutlich, wie sehr die Albiceleste eigentlich auch von Martinez und eben nicht nur von Messi abhängig ist.
Am Sonntag wird sich nun zeigen, inwieweit die Torhüter beider Mannschaften dazu beitragen müssen, um das Spiel zugunsten ihrer Mannschaft zu entscheiden, denn beide Mannschaften verfügen über starke Offensiven. Bisher haben aber auch die Torhüter gezeigt, dass sie in starker Form sind. Sollten sie sich auch im Finale in einer Verfassung befinden, wie sie es bis zum Endspiel auch waren, könnte es einem knappen Endspiel werden, in dem am Ende auch Nuancen über Sieg und Niederlage entscheiden.