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Schumacher, das wilde Tier

Das muss man erst einmal schaffen. Adolf Hitler als unbeliebtesten Deutschen beim französischen Volk auf Platz zwei zu verdrängen. Als Fußball-Torwart! Zur Biografie von Harald „Toni“ Schumacher passt diese Anekdote wie ein Puzzlestück. Deftiger als der bullige Torsteher aus den 80er Jahren hat auch einer seiner besten Nachfolger – Oliver Kahn – nicht die Massen polarisiert. 1982 sorgte eine unbeherrschte Aktion in einem hitzigen Spiel bei der Weltmeisterschaft in Spanien für den Negativ-Höhepunkt von Schumachers Karriere. Im Halbfinale von Sevilla hatte der deutsche Schlussmann den anstürmenden französischen Stürmer Patrick Battiston brutal mit einer eingesprungenen Knieattacke niedergestreckt und die Fußball-Welt mit einem abschätzigen Kommentar nach dem Schlusspfiff („Dann zahle ich ihm die Jacketkronen“) entsetzt.

Zwei Monate vor der Europameisterschaft 1984 in Frankreich trafen der Gastgeber und Deutschland in einem „Freundschaftsspiel“ aufeinander, das seiner Bezeichnung nun wahrlich nicht gerecht wurde. Schumacher wurde vor dem Spiel mit wütenden Nazi-Sprechchören begrüßt, im französischen Fanblock baumelte eine Schumacher-Puppe symbolisch vom Galgen. Das Land der Weinkenner und Liebhaber schöner Künste hasste den muskelbepackten Deutschen, der das Bild des brutalen Soldaten aus dem Nachbarland auf den Fußballplatz zu transferieren schien.

Schon alleine deshalb stand die Euro 84 für den Titelverteidiger aus Deutschland unter keinem guten Stern. Der Kader war uneins über die ehemals rheinische Frohnatur Jupp Derwall, der plötzlich keine lustigen Lieder mit seiner Gitarre im Arm schmetterte. DFB-Präsident Neuberger hatte sich in das Mannschaftshotel mit einquartiert, quasi als strenger Herbergsvater – bei der WM zwei Jahre zuvor war es noch zu wilden Sauforgien am Pokertisch gekommen, jetzt sollte wieder Disziplin herrschen. So wenig der Präsident der Mannschaft vertraute, vertraute die Mannschaft in den Trainer und das eigene Können. Deutschland bot in den drei Vorrundenspielen erbärmlichen Fußball, ein trauriges Gegurke mit elf Muskelfußballern, die abschätzig als „Leichtathleten“ tituliert wurden.

Im ersten Gruppenspiel gegen Portugal offenbarte sich die deutsche Uneinigkeit, das enttäuschende 0:0 ebnete den Weg direkt aus dem Turnier. Zwar reichten im nächsten Spiel gegen Rumänien zwei Treffer von Rudi Völler zu einem gequälten 2:1-Erfolg, gegen den letzten Gruppengegner Spanien verlor die deutsche Auswahl allerdings mit 0:1 nach einem Tor in der letzten Minute und war ausgeschieden. Das französische Blatt Liberation schrieb hasserfüllt: „Dieses wilde Tier, das der deutsche Fußball ist, verdiente an diesem Abend im eigenen Urin ertränkt zu werden.“ Damit war vor allem Schumacher gemeint. Der leistete nach dem peinlichen Ausscheiden seinem Trainer Derwall moralische Unterstützung. „Obwohl ich Nichtraucher bin“, erinnerte sich Schumacher, der mit Derwall über den Rasen schlich, „haben wir eine Zigarette geraucht. Wir haben beide gewusst: Es ist vorbei.“

Wenige Tage später hatte sich Derwall aus seinem Amt vertreiben lassen, Franz Beckenbauer übernahm überraschend die Mannschaft, die er sechs Jahre später zum WM-Triumph führen sollte.

Europameister wurde Frankreich, mit dem neunfachen Torschütze Michel Platini und einer Elf, deren individuelle Klasse locker jeden Vergleich mit der Weltmeistermannschaft von 1998 standhält. Das Tor hütete der starke Joel Bats, doch das Turnier 1984 brachte vor allem den Stern eines anderen Keepers zum Leuchten: Manuel Bento, der Portugiese von Benfica Lissabon. Im Halbfinale gegen Frankreich brachten seine Leistungen den Gastgeber fast zur Verzweiflung, erst ein Tor von Platini in der letzten Minute der Verlängerung rettete den Finaleinzug. Bento bemühte sich später zu einer nationalen Legende: Erst im Alter von 44 Jahren beendete der 2007 durch einen Herzinfarkt verstorbene Bento seine Karriere.

 


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