Martin Pieckenhagen ist 39 Jahre alt. Für einen Fußballer ist damit so etwas wie ein Mammut, nein, ein versteinertes Mammut. Will sagen: 39 Jahre sind im Profifußball uralt. Und nun hat dieser Pieckenhagen nach fünf Jahren Pause sein 215. Bundesligaspiel bestritten.
Vor fünf Jahren sprang Pieckenhagen noch für den Hamburger SV durch die Gegend, seine letzte Partie stammt vom 26. Februar 2005, gegen Hertha BSC ging der HSV damals mit 1:4 unter. Schon das zeigt, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Der Klub aus der Hauptstadt, den alle nur die »Alte Dame« nennen, spielt heute in der 2. Bundesliga. Inzwischen spielt Pieckenhagen für den FSV Mainz 05, den Kindergarten der Liga. Und es würde keinen wundern, wenn ihn die vielen 19-, und 20-jährigen Grünschnäbel in der Mannschaft als den »Alten Herren« bezeichneten.
Am Wochenende zeigte der alte Mann allerdings geradezu jungenhafte Einsatzfreudigkeit, als er nach 25. Minuten für Christian Wetklo eingewechselt wurde. Wetklo, der Mann mit dem wunderlichen Namen, war in den vergangenen Wochen einer der Garanten für die stabile Defensive gewesen, gegen Borussia Mönchengladbach knickte er allerdings so übel um, dass ihn Trainer Thomas Tuchel vom Feld nehmen musste. Und weil auch Heinz Müller noch nicht vollständig gesundet ist, musste Pieckenhagen aufs Feld. Ihn hatte Tuchel ja kurz vor Saisonbeginn als Stand-by-Profi verpflichtet, weil sich eben jener Müller einen Kreuzbandriss zugezogen hatte. Ein 39-Jährige für den Ernstfall – und der trat nach 25 Minuten an diesem 13. Spieltag ein. Während das Spiels weiterlief, versuchte sich Pieckenhagen – kalt von der Bank gekommen – wenigstens ein wenig warm zu machen, doch so viel Zeit blieb dem Torwart gar nicht. Acht Minuten nach seiner Einwechslung rannte plötzlich Gladbachs de Camargo unbedrängt auf sein Tor, Pieckenhagen klärte mit einem tollen Reflex. Zwar musste der Oldie nach dem Wechsel zweimal hinter sich greifen, aber die wunderschönen Treffer von Marco Reus (53., 69.) hätten selbst Wetklos, Müller und Pieckenhagen zusammen nicht verhindern können. Schön für Pieckenhagen, schön für seine Mannschaft: Durch Tore von Schürrle und Allagui (2) konnte der FSV das Spiel noch drehen. »Einfach geil«, jubelte der Keeper nach dem Spiel und trompete euphorisch: »Noch mal den Adrenalin-Schub zu spüren, diesen Reiz, das ist ein Geschenk.« Reiz ist geil. Wie oft Pieckenhagen diese Gefühlsachterbahn noch mitmachen darf, ist fraglich. Heinz Müller absolvierte bereits ein Spiel bei den Mainzer Amateuren und Christian Wetklo gab bereits Entwarnung. Gegen den 1. FC Nürnberg am Freitagabend wird wohl wieder er im Tor stehen. Wie auch immer: Thomas Tuchel weiß nun, dass er sich auf Martin Pieckenhagen verlassen kann. 39 Jahre hin oder her.
Auch Oliver Baumann kommt derzeit in den Genuss des Adrenalinkicks der besonderen Art. Der 20-jährige Jugendnationalspieler machte gegen Tabellenführer Borussia Dortmund bereits sein 9. Saisonspiel – 9 Spiele mehr, als man vor der Saison von Baumann erwartet hatte. Doch seit Stammkeeper Simon Pouplin an einer Sprunggelenk-Verletzung laboriert, steht eben Oliver Baumann im Tor. Gegen den BVB reichte es zwar am Ende nicht zu einem Punktgewinn, doch das hatte nicht wirklich etwas mit Torwart Baumann zu tun. Der schmiss sich in die zahlreichen Angriffe, als ginge es um sein Leben, reagierte bei Fernschüssen glänzend und hatte dann auch noch ganz augenscheinlich den Fußballgott auf seiner Seite, als Dortmunds Kuba kurz vor dem Ende völlig unbedrängt vor dem Freiburger Tor einschießen konnte – und den Ball erstaunlicherweise über die Latte setzte. Jetzt hat sein Konkurrent den Kampf angesagt. »Im kommenden Jahr werde ich wieder angreifen«, ließ Pouplin verlauten, »dann gibt es einen Zweikampf zwischen Oliver und mir. Und der Bessere wird sich durchsetzen.«