Manuel Neuer ist Fußball-Profi und hat deswegen eine Menge Lücken im straff organisierten Wochenplan, in denen einfach nur die Zeit totzuschlagen ist. Das Leben eines Fußball-Profis ist zumeist wesentlich unspektakulärer, als man denken mag: Training, Trainingspause, Training, Abfahrt zum Spielort, Training, Pause. Die HipHop-Kombo »Blumentopf« hat mal ein Lied getextet. Das hieß: »Warten« und befasste sich komplett mit leidigen Erfahrung des Wartens. Das Lied hätte »Blumentopf« auch für Fußball-Profis wie Manuel Neuer schreiben können.
Neuer also wird wie jeder andere seiner Kollegen sehr häufig nach Möglichkeiten suchen, sich die viele Warterei irgendwie möglich zu verschönern. Was hilft da besser, als ein anständiger Abenteuer-Film in epischer Länge. Ganz genau können wir es nicht sagen, aber zu 99,9% sicher ist, dass sich Manuel Neuer bereits die »Herr der Ringe«-Trilogie angeschaut hat. Einer der Hauptdarsteller ist Gandalf, der »weiße Zauberer«. Ganz in unschuldiges Weiß gehüllt, reitet Gandalf in die Schlacht gegen fiese Monster aus düsteren Unterwelten – und gewinnt am Ende natürlich. Wir wollen nicht die Spieler von Bayern München mit zähnefletschenden Orks und anderem Getier vergleichen, doch dürften die Sympathiewerte der Bayern in Gelsenkirchen in etwa mit denen von Orks vergleichbar sein. Um nun wieder aus diesem epischen Abschweif des Fußball/Film-Vergleichs zu kommen: Schalkes Torwart Manuel Neuer sah im Spiel seiner Schalker aus, wie Gandalf, der »weiße Zauberer«. Nur dass Neuer für seinen magischen Auftritt keinen Zauberstab benötigte – ihm reichten seine beiden Arme.
2:0 prangte am Ende auf der Anzeigetafel und kurz nach diesem statistischen Anblick schwenkten die TV-Kameras auf Schalkes glückseligen Torwart. Der hatte da schon seine weiße Ritterrüstung in Form eines Torwarttrikots ausgezogen und grinste durch das Stadion, wie ein Grundschüler nach der ersten Eins in Mathematik. Neuer hatte allen Grund dazu: 90 Minuten lang hatte er eine beeindruckende Vorstellung abgeliefert und den Beweis erbracht, ein würdiger Nationalkeeper zu sein. Erstaunlicherweise schaffte Neuer das, obwohl er, im Gegensatz zu seinem auf Spektakel getrimmten Nationalelf-Kollegen, ganz ohne zusätzliches Spektakel auskommt. Neuer sprang auch gegen die Bayern nur dann, wenn er wirklich musste. Einmal lenkte einen Fernschuss von Toni Kroos so aufregend um den Pfosten, dass es den sonst so lautstarken Schalkern im Stadion den Atem verschlug. Neuer stand noch dreimal so offensichtlich im Mittelpunkt, was den meisten Zuschauern jedoch verborgen blieb, ist Neuers eigentliche Stärke: Weit stehend vor dem Tor fängt er Steilpässe des Gegners ab, auch gegen die Bayern vereitelte er auf diese Art und Weise Chancen, bevor daraus überhaupt erst Chancen werden konnten. Und vor dem 1:0 in der 58. Minute durch Jurado fing Neuer den Ball erst blitzschnell ab und schlug die Kugel dann mit einem exakt getimten Abschlag 70 Meter weit auf Raul, dessen Vorarbeit schließlich Jurado verwandelte. Die Bayern, in der 1. Halbzeit klar überlegen, scheiterten an einem überragenden Neuer. Kein Wunder, dass sich der sonst so kühle Schalke-Trainer Felix Magath nach der Partie zu einem ganz besonderen Lob hinreißen ließ. Neuer, sagte Magath, sei der »vermutlich beste Torwart der Welt«. Ähnlich sehen es wohl auch die Bayern, die Branchenkennern zu Folge ihre seit einiger Zeit laufenden Abwerbungsversuche um Neuer intensivieren wollen. Am Samstagabend hat Schalkes »weißer Zauberer« jedenfalls eine magische Visitenkarte hinterlassen.